: Ost-Sister meets West-Sister
■ Die offene Grenze macht's möglich: In West-Berlin konnten Ostberliner Frauen spontan eine neue Gruppe, die „Lila Offensive“, vorstellen / Keine Lust auf maternalistische Verhältnisse zwischen West und Ost
Ulrike Helwerth
Lilo“, Lila Offensive, nennen sie sich. Vor kurzem erst haben Ostberlinerinnen aus der Frauen- und Lesbenszene die Gruppe aus der Taufe gehoben. Ihr Ziel: eine „politische Frauenbewegung“ in der DDR. Vergangenen Montag nun hatte „Lilo“ ihren ersten öffentlichen Auftritt im Westteil der Stadt, im Schöneberger Rathaus - vor rund 70 neugierigen alteingesessenen und neuen Westberlinerinnen, unter ihnen Frauensenatorin Anne Klein.
Eine spontane Begegnung. Denn als die Berliner FrauenfrAKTION vor vier Wochen eine Veranstaltung plante mit „Um- Über-, Aus und Ein-Siedlerinnen“, um über politische Perspektiven „hüben und drüben“ zu debattieren, hatte sich noch keine ein so schnelles Rendezvous zu erträumen gewagt. Hintergrund der Einladung ins Schöneberger Rathaus: die merkliche Verstimmung in der Stadt gegen den wachsenden Strom von Aus- und ÜbersiedlerInnen, die Sorge, der Unmut könnte in offene Feindseligkeit umschlagen. „Aber dann“, so Halina Benkowski von der FrauenfrAKTION, „hat uns die Historie überrannt“.
Die überraschende Anwesenheit von zwei „Lilo„-Frauen - über „Buschfunk“ hatten sie die Botschaft bekommen - brachte eine lebhafte Diskussion über die „Frauenfrage“ in der DDR, das Verhältnis von Feministinnen und neuer Opposition, über Feminismus und Marxismus, voraussichtliche ökonomische und soziale Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Frauen. Reizwort Feminismus
Die „Lila Offensive“ entstand, weil sich die Frauen in die „Wende“ einmischen wollen, erklärte Gabi Zekina, wissenschaftliche Assistentin an der Ostberliner Humboldt Universität. Denn bisher habe die „männerlastige“ Opposition keinerlei „Frauenprogramm“. Zwar werbe die marxistisch orientierte „Vereinigte Linke“ um mehr Frauen. Aber Alibifrau will keine sein. „Wir machen zwar mit, aber wir bleiben autonom“, sagt Christina Schenk, die gerade an ihrer Doktorarbeit zur Lebenssituation lesbischer Frauen in der DDR sitzt.
Aber sie warnte gleich vor „übertriebenen Erwartungen“. Die Gruppe sei noch klein - zehn bis 15 Frauen -, habe sich bisher erst wenige Male getroffen und sei über die politische Standortdiskussion noch nicht hinausgekommen. Denn Feminismus sei immer noch ein „Reizwort“, habe in der DDR „keine Tradition“. Jeder Begriff aus der westlichen Frauenbewegung müsse „auf seine Gültigkeit für die eigene Realität überprüft“ werden: „Wir fangen bei Null an.“ Und dann gebe es natürlich die vertraute Auseinandersetzung über das Verhältnis von Marxismus und Feminismus, die leidige „Haupt- und Nebenwiderspruch„-Diskussion. Doch sozialistisch will die DDR-Frauenbewegung auf jeden Fall sein.
Aber existiert sie überhaupt? Hannelore May von der Berliner FrauenfrAKTION war aufgefallen, daß Christa Wolf in ihrer berühmten Rede am 4.November auf dem Alexanderplatz mit keinem Wort auf die Geschlechterfrage eingegangen war, nicht gesagt hatte, daß die versteinerten Verhältnisse „alles alten Männern“ zu verdanken sind. „Wie kann die Literatur von Christa Wolf, von Irmtraud Morgner und anderen DDR-Autorinnen im öffentlichen Bewußtsein so wirkungslos geblieben sein?“, fragte Hannelore May. „Weil alle, auch die Frauen, sagen, es gibt Wichtigeres“, antwortete Gabriele Zekina. Es sei niemandem klar, „daß alles gleichzeitig verändert werden muß“. Eine Zuhörerin, die vor einigen Jahren aus der DDR nach West-Berlin übergesiedelt war, fand dafür eine mögliche Erklärung: Durch den allgemeinen staatlichen Druck herrsche in der DDR ein viel größeres Gemeinsamkeitsgefühl zwischen Frauen und Männern. Außerdem seien die Frauen zu „geschlechtslosen Arbeitsbienen“ erzogen worden. „Morgens geben sie den kleinen Unterschied beim Pförtner ab, abends holen sie ihn wieder.“ Denn dann sei die Hausfrau und Mutter verlangt. Frauenfrage gleich Mütterfrage. Alle sozialen Reformen in der DDR seien bisher auf diese „Mutti-Politik“ reduziert worden, erklärte eine andere in der Runde. Westliche Bevormundung?
Dennoch hat die „Mutti-Politik“ den Frauen in der DDR soziale Errungenschaften beschert, von denen Frauen in anderen Ländern nur träumen können: Gesicherte Arbeitsplätze, Kinderkrippen, bezahltes Babyjahr, bezahlter Haushaltstag, Abtreibungsfreiheit. Was geschieht damit, wenn nun der Kapitalismus das Land kurieren solle? Wenn die DDR jetzt ein Land der „Dritten Welt“ werde und die Frauen diese Entwicklung nicht rechtzeitig erkennen würden, so sorgte sich Hannelore May, „dann werdet ihr die Hausfrauen eurer Drittweltmänner“. Und sie forderte: „Laßt da nicht locker, auf euch hört man jetzt. Ihr seid eine Hoffnung auch für uns.“ Einige stießen sich an dem diskriminierenden Begriff „Dritte Welt“, andere kritisierten die Leichtfertigkeit, mit der davon ausgegangen werde, daß der DDR gar kein anderer Weg als in die quasi-koloniale Abhängigkeit von der BRD übrigbleibe. „Vielleicht gibt es ja wirklich noch eine Chance für einen rätedemokratischen Sozialismus“, hofft eine weitere Teilnehmerin.
Gibt es innerhalb der bestehenden Institutionen der DDR eine Lobby für Frauenforderungen? Immerhin sitzt in der Volkskammer eine 60köpfige Frauenfraktion des DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands). Doch der DFD galt bisher als treue Stimme seines SED-Herrn. „Stricken, häkeln, Kartoffelsalat machen“, brachte Gabi Zekina seine Aktivitäten auf den Punkt. Der DFD sei nicht reformierbar, sondern nur abzuschaffen. Dennoch sei die Zusammenarbeit mit Reformerinnen innerhalb des Frauenbundes, mit denen, die jetzt „mit heißem Herzen“ sprechen, sinnvoll. Denn der DFD habe Geld und Räume. Christina Schenk hingegen hielt es für zu „kraftaufwendig“ und deshalb für „politischen Unsinn, den DFD zu unterwandern“. Autonome Gruppen müßten sich bilden und zur Wahl stellen.
Die Diskussion sprang von Thema zu Thema. Auf viele Fragen und Positionen wußten die Frauen von „Lilo“ noch keine Antwort. Die Veränderungen hätten ein rasantes Tempo, vieles, was bisher tabu gewesen sei, komme nun zur Sprache. Da sei es schwer, überall mitzuhalten. Annemarie Tröger, Mitherausgeberin der 'Feministischen Studien‘, kam es schließlich so vor, „als wollten wir alten Bewegungsfrauen diesen Frauen unseren ganzen Katalog vorhalten, um den auch wir bisher weitgehend vergeblich gekämpft haben“. Stichwort für eine der Übersiedlerinnen: „Verzeiht mir, aber ich kann die Frauenbewegung hier auch nirgends entdecken.“ Mit konkreten Forderungen an die Westlerinnen waren die Ostlerinnen nicht gekommen. Sie wollen kein maternalistisches Verhältnis, wollen sich nichts überstülpen lassen. Aber die ersten Kontakte sind geknüpft, frau will sich wiedertreffen, vielleicht auf einer Frauenkonferenz am 8.März 1990, auf der sich Projekte aus der DDR und BRD vorstellen können.
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