Burdensharing

■ Kohl, Polen und die Nato

Helmut Kohl hat gestern für die Polen-Politik seiner Regierung einen Begriff gefunden, wie er klarer und brutaler nicht sein kann: „Burdensharing“, Lastenteilung im Jargon der Nato-Militärs. Die Amerikaner sollten künftig, so fordert Kohl, die bundesdeutsche Wirtschaftshilfe für Polen in Rechnung stellen, wenn wieder einmal darum gestritten wird, wie Nato-Raketen und GI-Sold bezahlt werden. Kohl beruft sich dabei mit einer gewissen Berechtigung auf den jüngsten Nato-Gipfel, wo sich das Militärbündnis auf ein Konzept der selektiven Ostpolitik verständigt hatte: finanzielle und politische Belohnung für jene osteuropäischen Staaten, die sich dem kapitalistischen Westen annähern - mit dem mittelfristigen Ziel, diese Länder aus dem Warschauer Pakt herauszulösen. Wenn die bundesdeutsche Regierung also jetzt Hermes-Bürgschaften für deutsche Investitionen in Polen übernimmt, dient sie damit der Nato: Die Ausdehnung der Einflußsphäre nach Osten muß wirtschaftlich abgesichert werden: Langstrecken-Kredite statt Kurzstrecken-Raketen.

Letzte Zweifel sind damit beseitigt: Statt um die „Last der Geschichte“, von der Kohl fortgesetzt faselt, geht es also um die Lastenteilung in der Nato. 50 Jahre nach dem deutschen Überfall ist ein deutscher Kanzler mit dem feisten Grinsen der späten Geburt durch ein halb verhungertes Polen gewalkt und hat nirgendwo Zweifel gelassen, warum seine Deutschen sich jetzt versöhnen können: Weil Polen die Farbe gewechselt hat und weil der polnische Systemwandel die Berliner Mauer quasi von hinten her niedergerissen hat. Polen wird nun zum zweiten Mal erobert, statt in Panzern nun in Daimler-Limousinen, und diesmal ist es kein deutscher Sonderweg.

Wer gesehen hat, daß Kohl durch Auschwitz rannte wie durch den Supermarkt an der nächsten Ecke, kann nur Scham und grenzenlose Wut empfinden. Nicht wegen Kohl: Sondern weil die Polen in einer Lage sind, dies alles lächelnd ertragen zu müssen. Lastenteilung, Lastenausgleich - wer in diesem Land einen Funken moralischer Sensibilität und einen Hauch historischen Bewußtseins hat, für den ist durch diese Bilder die Last der Geschichte schwerer geworden. Und wie diese Unerträglichkeiten im nationalen Taumel dieser Tage untergehen, das sagt manches über die moralische Verfassung der Oppositionellen in unserem Land.

Charlotte Wiedemann