Eine Glatze geht um die Welt

■ Vom Aufstieg eines Nobody zum weltweit bekannten Deutschlandpolitiker

Eine westdeutsche Zeitung hat ihn bereits zum Kanzlerkandidaten hochspekuliert, seine Glatze geht derzeit von Tokio bis San Franzisko und von Moskau bis Sydney um die Welt. Die Rede ist vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Walter Momper. Noch im kalten Januar dieses Jahres kannte den Spitzenkandidaten der Berliner SPD keiner, noch nicht einmal die Westberliner wußten so richtig, wer das war. Die Genossen waren mit ihrem ersten Mann im Wahlkampf so wenig einig, daß sie sein Konterfei nicht einmal auf den Plakatwänden verbreitet haben. Die Wahl hat die SPD mit Themen gewonnen. Politik macht sie jetzt mit Walter Momper.

In den letzten Wochen hat sich Momper zum „König von Berlin“ (ein AL-Politiker) erhöht. In durchaus weltstädtischer Manier regiert er die Stadt und verliert als gütiger Herrscher doch nicht den Kontakt zum Volk. Momper auf jedem Fernsehkanal, Momper an jedem neuen Grenzübergang der Stadt. Der Oma aus Neukölln schenkt er sein Ohr mit derselben, ungewollt ironischen Freundlichkeit wie der Journalistin aus Washington. Wen interessieren in diesen Tagen das Berliner Parlament und die Koalitionsparteien SPD und Alternative Liste. Und es regt sich auch kein Widerspruch, dafür macht Momper seine Sache zu gut. Seine ausgeprägte Fähigkeit zum Praktischen, zum Pragmatismus („Ich bin ein Realpolitiker“) läßt ihn die Gefahrenzone der Deutschtümelei sicher umschiffen. Momper denkt nicht in die Zukunft, er bleibt auf dem Betonbrocken übersäten Boden der Stadt und ihrer weltbekannten Grenze. Wenn häufig beklagt wurde, ihm fehle das Charismatische, das Visionäre, im Moment ist diese Unfähigkeit die Rettung für die (noch) freudige Stimmung in der Stadt. Momper zerrt die schwindlig machende Wiedervereinigungsrhetorik der Konservativen in die muffigen, seit 28 Jahren stillgelegten Berliner U-Bahnhöfe. Mit stoischer Ruhe erklärt er Tag für Tag die Öffnung des Brandenburger Tores für „verkehrlich“ nicht so wichtig, um die Begegnung der Menschen gehe es jetzt, und dafür wolle er möglichst viele Übergänge öffnen. Dabei ist ihm der Symbolwert des Tores, dieser Inbegriff der Teilung der Stadt, selbstverständlich klar. Doch der machtbewußte Momper hat sich in den Kopf gesetzt, dieses Kapitel der Geschichte friedlich und ausschließlich mit Pluspunkten auf seinem Konto zu beenden. Von rechtsradikalen Randalierern vor dem Brandenburger Tor wird er sich keinen Strich durch die Rechnung machen lassen. Im Moment versucht er, Zeit zu gewinnen.

Der Streit mit dem Bundeskanzler kommt dem neuen Deutschlandpolitiker Momper nur gelegen. Es ist - fast, möchte man sagen - gute Tradition, daß sich Berlins Regierende SPD-Bürgermeister mit CDU-Bundeskanzlern in den Haaren liegen. Auch Willy Brandt hat sich anläßlich des Mauerbaus 1961 mit Konrad Adenauer überworfen. Momper hat das inhaltliche Vakuum in der Bonner Deutschlandpolitik gefüllt. Er fährt nicht „bald“, wie der Kanzler, nach drüben, er fährt ständig. Krenz, Krack, Schabowsky, Modrow sind Mompers nahezu tägliche Gesprächspartner. Durch seine rasche Aktivität, seinen Respekt vor der eigenenständigen inneren Entwicklung der DDR und die Absage an jede Bevormundung hat er die Bundesregierung vor der Weltöffentlichkeit ins Unrecht gesetzt. Deutschlandpolitik macht wieder die SPD.

Brigitte Fehrle