DDR enttäuscht und traurig

Klasse Theorie: In jeder gesellschaftlichen Situation wird der ihr adäquate Fußball gespielt (Norbert Seitz: Bananenrepublik und Gurkentruppe). Blödsinn? Beispiele: Nach dem Krieg wurden die Ärmel aufgekrempelt, Herberger wie Adenauer appellierten ans Gemeinschaftsgefühl für den Wiederaufbau. Die sozialliberale Ära brachte den Mönchengladbacher Schwung, die lange Mähne Netzers den kreativen Schub der früher 70er Jahre. Und dann bescherte das Duo Kohl/Derwall quälendes Wendegekicke.

Was Wunder, daß da auch die DDR in den vergangenen Wochen neue Hoffnung schöpfte in einem Bereich, der seit vielen Jahren das Volk zusammenschweißt zu einem einzigen Jammerkollektiv: im Fußball. Anders als bei Sozialprodukt und Nettoverschuldung nämlich konnten die Genossen Honecker und Mittag hier keine Zahlen fälschen oder verschweigen, die Tabellen lagen stets offen. Triste Bilanz einer sonst so erfolgsverwöhnten Sportnation: Nur eine WM-Teilnahme (1974), alle Europameisterschaften fanden ohne sie statt.

Und die Tradition schien anzuhalten in dieser Qualifikationsrunde. War nicht Italien, dieses Land voll praller Zitrusfrüchte, nach zwei Niederlagen gegen die Türkei weiter von Bitterfeld entfernt denn je? Doch dann kamen Demonstrationen und Mauerfall, Dialog ohn‘ Unterlaß und ein neuer, dynamischer Trainer Geyer. Österreich verlor am Bosporus, plötzlich genügte ein Unentschieden im Wiener Prater-Stadion, um dabeizusein. „In kürzester Zeit“, jubelte die 'Junge Welt‘, „hat Geyer eine abgewirtschaftete Nationalelf wieder zu einer stolzen Landesauswahl formiert.“

Erfaßt von Krenzschem Frohsinn fahren „alle aufgekratzt“ (Geyer) in Österreichs Hauptstadt, die Laune „selten zuvor derart gut und optimistisch“ (Spieler Doll). Und Kotrainer Vogel freut sich über den politischen Schwung, „weil das Geschehen motiviert“ und „nun auch in unserem Fußball manches offener, lockerer...“ usw. All die Fußballer, die bislang geduckt und gesenkten Hauptes über den Rasen schlichen, würden nun aufrecht dribbeln, endlich den Blick frei für den besser postierten Mitspieler. Was für Aussichten!

Selbst der realsozialistischen Mangelwirtschaft konnten plötzlich positive Züge abgewonnen werden. Herr Geyer, wird die richtige Mannschaft spielen? „Wir mußten nicht lange suchen, wir haben ja nicht viel zur Auswahl.“ Stand da noch irgendwer dem erhofften „erfolgreichen Geyerflug über den Brenner“ (DDR-TV) entgegen?

Gleich zwei. Polster heißt der eine, dunkle Locken hat er, als Stürmer spielt er, drei Tore macht er am Mittwoch abend. Der andere heißt Werner, pfeifen tut er, so ganz ohne Gefühl für diese historische, „entscheidende Stunde“ ('Neues Deutschland‘), daß der Kommentator, „milde ausgedrückt“, von „eindeutig tendenziöser Bevorteilung“ der Österreicher spricht. Kein klarer Elfmeter hier, ein unberechtigter dort, „das war's dann wohl mit unseren WM-Hoffnungen“ (DDR-TV).

Wohl wahr. „Es fehlten die große Linie und der große Atem“ ('Junge Welt‘), das ist „sehr traurig für uns“ (Vogel), weil „wieder einmal die anderen jubeln“. Die DDR ist doch nur „im europäischen Mittelmaß anzusiedeln“ ('ND‘), „um eine weitere Enttäuschung reicher“ ('Berliner Zeitung‘)? „Das ist so bitter wie jammerschade“ ('Junge Welt‘). Vertraute Töne.

Wenn Bärbel Bohley recht hat, daß der politische Wandel zu schnell kommt für die Opposition in der DDR, war er wohl auch zu fix für die Kicker? Oder dachten die, wie Geyer vermutet, „zu sehr an die Verträge“ bei Bayern und Werder? Stimmt am Ende die Theorie gar nicht von der Kongruenz von Fußball und Gesellschaft?

Vielleicht aber entspricht auch das „Bild einer immer mehr zerfasernden DDR-Elf“ ('Berliner Zeitung‘) einfach dem Zustand im Lande.

Thömmes