DAS EIS UND DER TOURISMUS

■ Jedes Jahr kommen ungefähr 4.000 Menschen als TouristInnen in die Antarktis / Was nach wenig aussieht, ist zuviel

„Ich gehe gern auf Entdeckungsfahrt, weil ich's gern tue und es mein Job ist. Man geht einmal und kann einfach nicht mehr aufhören.“ Ernest Shackleton, neben Scott der wichtigste Entdecker der Antarktis.

Seit der Antike hat man geträumt und spekuliert über einen südlichen Erdenteil. Entdeckt wurde er viel später und unter unglaublichen Mühen. Vom Überschreiten des 60.Breitengrades durch James Cook vor zweihundert Jahren bis zum ersten Fuß, den ein Mensch weiter ins Innere des Landes setzte, vergingen noch einmal fast hundert Jahre. Bis Ende der 20er Jahre dominierten Entdeckertypen, „Helden“ wie Scott, Amundsen, Shackleton oder Mawson, die teilweise ihr Leben gaben, um bis zu „den letzten Geheimnissen“ vorzudringen.

Dann kamen mit dem ersten Flug zum Südpol die Wissenschaftler, die Militärs mit ihrer Technik, und mit der die Probleme. Menschliche Mobilität wuchs in ungeahntem Maße, und es ist daher nicht verwunderlich, daß die Tourismus-Traum-Verwertungsmaschinerie Fuß faßte, noch bevor der Kontinent Ende der 50er Jahre zum ersten Mal vollständig kartographisch erfaßt wurde. Schiffe

1958 jedenfalls tuckerte das argentinische Schiff „Les Eclaireurs“ in Richtung Antarktische Halbinsel los. An Bord waren 100 Leute. Wenig später folgten die Chilenen und die USA. Fünf Schiffe fahren momentan, und sie bringen pro kurzem antarktischem Sommer 2.700 bis 3.000 TouristInnen, zu 80 Prozent auf die leicht erreichbare Antarktische Halbinsel. Ein Schiff folgt den Spuren des anderen. Oft laufen sie die gleiche Bucht an, wollen auf die gleiche Station, schicken die Reisenden zu den gleichen Brutplätzen oder Felsen. Oder verunglücken. Insgesamt sieben Schiffen passierte dies. Neben der „Lindblad Explorer“ 1972 zuletzt dem argentinischen Versorgungsschiff „Bahia Paraiso“ im Januar 1989, das Hunderttausende Liter Dieselöl verlor, eine Katastrophe, von der kaum jemand spricht. Flüge

In welch ungeahntem Ausmaß es kommerziellen Tourismus auch in dieses klimatisch extreme Gebiet gibt, zeigt allein die Bilanz der Touristenflüge. Noch bevor der Antarktisvertrag 1961 in Kraft trat, flogen schon chilenische und neuseeländische Maschinen 1956 und '57 Gäste ins Eis. Besonders die Neuseeländer waren dabei aktiv. In der Gegend des McMurdo Sunds flogen sie für 45 Minuten nur 300 bis 1.220 Meter tief, um die Passagiere „so nah wie möglich“ ranzubringen. 1979 kam es dann beim Mt.Erebus zu einem Crash. 275 Menschen kamen ums Leben. Bis 1980 konnten sich insgesamt über 11.000 Passagiere als Überflieger bezeichnen.

Chile bietet unterdessen Kurzflüge an. Dafür - und auch für militärische Zwecke - wurde auf der Antarktischen Halbinsel eine Landebahn gebaut. 1982 flogen die ersten 99 TouristInnen in einer chilenischen Militärmaschine ein, um dann eine Siebentagetour auf der „World Discoverer“ zu machen. Die Tendenz scheint sich zu bestätigen. Auch das Einfliegen über die Drake-Passage geht schnell. Die Pläne gehen immer mehr in Richtung Kurz- und Landaufenthalt. 1983/84 wurden die ersten TouristInnen eingeflogen und in einem chilenischen 40-Betten-Hotel untergebracht. Ihnen wurden Pinguinkolonien gezeigt, einige Seekühe, andere wurden mit einem Helikopter zu der polnischen „Arctowski„ -Station geflogen. Das war's dann. Einmal dagewesen. Schön. Bergsteigen

Doch es gibt noch andere Formen. Flüge zum Südpol beispielsweise. Das kanadische „Adventure Network International“ (ANI) bietet mit einer DC-4 einen Flug bis zur Eislandebahn in Patriot Hills an. Die restlichen 600 nautischen Kilometer fahren die Gäste mit „Twin Otters“. Auf der Landebahn, so die Veranstalter, könnte eine Boing 747 landen! Die gleiche Firma setzt auf „Mountaineering“. Noch in den Sechzigern wurden Bergbesteigungen von den Antarktisvertragsstaaten unterstützt. Jetzt zählt Privatinitiative. 1987/88 starteten die Australier mit ihren Zweihundertjahrfeiern. Sie mußten unbedingt auf den Mt.Minto. ANI bietet seit 1984 allen, die in eisige Höhen wollen, Hilfe an und fliegt z.B. Bergsteiger zu den Ellesworth Bergen am Fuße der Antarktischen Halbinsel. Ihr Ziel ist der Mt.Vinson, mit 4.897 Metern der höchste Berg des Kontinents. Zwei Hütten, Tonnen von Lebensmitteln und Benzin wurden eingeflogen. Revival

Neuester Trend männlicher Entdeckungstrieb-Täter und mit dem Sysiphuskomplex geplagter Abenteurer ist die „Wieder -Entdeckung“. 1986 sank das Schiff der „In the Footsteps of Scott„-Expedition im Ross Meer. Amundsens Reise zum Südpol sollte wiedererweckt werden.

„Höher, als der Everest ist, kann ich nicht mehr steigen“, begründet Reinhold Messner, daß er sich nun auf die arme Antarktis stürzt. Zusammen mit Arved Fuchs, der schon durch eine zwilichtige Nordpolaktion unangenehm auffiel. Das neue Abenteuer heißt „Antarktis-Transversale“. Sie werden auf Skiern rund 3.500 Kilometer der Antarktis durchqueren. Natürlich reizt sie nicht nur die menschenleere Eiswüste, sondern sie wollen auch auf die Gefährdung durch das Ozonloch aufmerksam machen und für einen „Weltpark Antarktis“ werben. In die gleiche Kerbe haut die sechsköpfige Gruppe der „Transantarctica“. Die von einer französischen Versicherung und einem Hundefutterhersteller Finanzierten wollen mit Schlittenhunden die 8.000 Kilometer schaffen. Mit ihrer Expedition, der „letzten großen Landexpedition vor Anbruch des dritten Jahrtausends“, wollen sie natürlich „die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Antarktis lenken“. Natürlich. US-TV ist live dabei. Geschichte

Das alles hat der Kontinent nicht verdient. Als am 23.Juni 1961 - mitten im Kalten Krieg - 12 Staaten den Antarktisvertrag unterzeichneten, war das - man verzeihe mir das Pathos - eine Sternstunde zumindest des wissenschaftlichen Kosmopolitismus. Ein Vertragswerk, unterzeichnet in „der Erkenntnis, daß es im Interesse der ganzen Menschheit liegt, die Antarktis für alle Zeiten ausschließlich für friedliche Zwecke zu nutzen und nicht zum Schauplatz oder Gegenstand internationaler Zwietracht werden zu lassen“. Der 7.Kontinent wurde zur ersten atomwaffenfreien und entmilitarisierten Zone der Welt erklärt, Gebietsansprüche wurden nicht anerkannt, die wissenschaftliche Zusammenarbeit sollte gefördert und die Natur geschützt und erhalten werden. Dieser Vertrag, so der deutsche Geologe und Antarktisforscher Gerhard Wörner, „ist in politischer und auch moralischer Hinsicht beispielhaft“. Papier und Realität

Wir wissen, Papier ist geduldig. In einem Ökosystem, in dem die Spezies Mensch nicht existiert, ist jede menschliche Aktivität schon ein Problem. So beispielhaft die Empfehlungen und Umweltschutzvorschriften des Antarktisvertrags sind, so sehr verstoßen die Nationen auch jetzt schon dagegen. Immer noch gibt es keine zentrale Kontrollbehörde, immer noch ist jede Nation für ihr eigenes Verhalten verantwortlich, immer noch werden Verstöße nicht auf den zweijährigen Konsultativtreffen diskutiert.

Da wollen die Chinesen ihre Station „Great Wall“ mitten in einem deutschen Forschungsgebiet bauen, da werden auf einer nur 30 Quadratkilometer großen Insel, der Fildes Halbinsel, mehr als vier Stationen (Chile, UdSSR, Uruguay, China) im Abstand von nur 10 Kilometer aufgestellt, weil man eben das eisfreie Gebiet besser erreichen kann. Und nimmt der Flora und Fauna, die sich auch auf eher mildere Regionen konzentriert, den Atem. Auf der kleinen King George Insel befinden sich sinnigerweise sechs Wetterstationen. Und, wie im Fall der US-amerikanischen Riesenstation McMurdo, wo im Sommer bis zu 2.000 Menschen leben, verbrennt man Müll im Freien, oder aber - da er sich erst nach Jahrzehnten zersetzt - packt ihn in Säcke und versenkt die im Meer. Abwässer und Öl (Energie durch Generatoren!) versickern. Vor den Stationen sieht man ein tristes Panorama von Cola-und Bierbüchsen auf dem Meeresspiegel schwimmen. Was heißt hier Tourismus?

Touristen seien, so schreibt Irmi Mussak von Greenpeace in einer wissenschaftlichen Untersuchung, nicht nur die klassischen Fremden, sondern auch all die Mitarbeiter auf den mittlerweile über 40 internationalen Forschungsstationen, die in ihrer Freizeit vielleicht Unfug anrichteten. Und Touristen seien auch jene „Besucher“, die besonders von den USA zu Dutzenden pro Jahr eingeladen würden: Politiker, Offizielle, Fotografen, Künstler, Journalisten. Wer weiß, was die tun. Mitglieder der chinesischen „Great Wall„-Station jedenfalls malten Vogeleier an.

Doch die Touristen leisten sich noch schlimmeres: Sie trampeln über die sowieso spärlichen Gräser und Moose, sammeln Vogeleier, füttern Tiere, wollen junge Robben und Pinguine streicheln, ritzen ihre Namen in Robert Scotts Grab, der Lärm der Flugzeuge vertreibt die Tiere. Hotels in größerem Rahmen würden ungeahnte Auswirkungen auf die Umwelt haben: Um das gewohnte Maß an Komfort zu gewährleisten, müßten ständig Infrastruktur rangekarrt und Unmengen Energie verbrannt werden. Erinnert werden muß an das US-AKW „Nukey Poo“. In den 70ern wurde sein Betrieb nach vielen Pannen eingestellt. Das rundum verseuchte Gelände mußte peu a peu abgetragen werden.

Irmi Mussak jedenfalls kommt in ihrer Studie zu dem Resultat, daß man Tourismus zwar nicht verhindern, aber zumindest regulieren kann und muß. Bis zu einer internationalen Vereinbarung über Tourismus in der Antarktis fordert sie einen Stopp landgestützter Tourismusprojekte. Ähnlich dem noch geltenden Moratorium für Rohstoffabbau, das 1991, wenn auch der Antarktisvertrag nach 30 Jahren Gültigkeit mit einfacher Mehrheit verändert werden kann, auch zur Disposition steht.

Womit wir beim Schluß angelangt wären. Viel bedrohlicher als Tourismus sei doch das Zusatzabkommen über einen Rohstoffabbau in der Antarktis, an dem jahrelang gebastelt wurde (CRAMRA), so Gerhard Wörner. „Ich bin für einen Weltpark Antarktis.“ Dem Wissenschaftler zufolge sind 80 Prozent der deutschen Antarktisforscher gegen eine Rohstoffausbeutung. Die Bundesregierung hat unterdessen signalisiert, den Vertrag bis nächstes Jahr - wenn eine Sonderumweltkonferenz stattfindet - nicht zu zeichnen. In diesem bedrohlichen Kontext, so Wörner, ist Tourismus „das kleinere Problem“. Hoffentlich hat er recht.

Andrea Seibel