Reise ans End der Welt

■ Bekenntnisse einer EIs-Heiligen: Ja, ich war in der Antarktis

Claire Robinson REISE ANS ENDE DER WELT

Bekenntnisse

einer Eis-Heiligen:

Ja, ich war

in der Antarktis

Es war einer dieser schönen Herbsttage, Altweibersommer, als ich auf einer Brücke in Berlin stand und ins Wasser blickte. Goldene Blätter schwammen träge im dunklen Wasser, das leicht und leise an die Ufer schwappte. Herbst, dachte ich. Und dann Winter. Hier. Doch am südlichen Ende der Welt fängt jetzt der Frühling an, ist endlich der lange Winter der Dunkelheit vorbei. Ich war dort. Neun Monate ist das jetzt her, daß ich den antarktischen Herbst erlebte. Die wenigen Freunde, denen ich davon erzählte, hielten mich für verrückt. Sie fragten: „Was willst du denn am Nordpol?“ Sie sagten: „Das ist ein Naturschutzgebiet, da fährt man doch nicht hin.“ Und sie meinten: „So viel Geld nur für Eis.“ Nur Eis? Einmal

Ich hatte mir geschworen, nachdem ich Grönland sah, es einmal in meinem Leben zu schaffen, die Eisberge auf der südlichen Hemisphäre zu sehen. Ich wollte es. Und dann habe ich es getan. Sicherlich kannst du in ein Reisebüro gehen und ordern: Einmal zum Südpol bitte! Schlußendlich ist es auch so gewesen. Doch der Weg dahin ist wesentlich umständlicher. Du pflegst deinen Traum, du weißt, wie teuer das ist. Als jedoch ein Freund mit 40 an Hirnschlag starb, war mir klar: Entweder du machst das jetzt oder vielleicht nie.

Was für mich die Antarktis ist? Ich konnte mich erinnern, was mir Grönland gegeben hatte, und wollte schauen, ob ich so etwas Ähnliches in der Antarktis wiedererlebe. Vielleicht ist es unlauter, Gleiches und doch Fremdes zu suchen. Natur ist niemals gleich. Namen

Die Reise ging vom 14. Februar bis zum 6. März, dauerte also drei Wochen. Treffpunkt war Santiago, Chile. Wir flogen von dort aus nach Punta Arenas und gingen dort am 18. aufs Schiff. Es hieß „World Discoverer“. So fühlte ich mich auch, wenn ich bei strahlendem Sonnenschein in der warmen Mittagssonne auf der Brücke stand. Wir fuhren durch den Beagle-Kanal, passierten die Maggellan-Straße. Am 20. erreichten wir Kap Horn, fuhren durch die Drake-Passage und haben uns im Endeffekt vom 22. bis 6. März im Umkreis der antarktischen Halbinsel aufgehalten. Namen, Symbole. Mit der Entdeckung unsterblich werden. Wie schön. Wissen

Wir hatten vier Wissenschaftler an Bord. Einen US-Zoologen und einen Spezialisten für Wale. Dann einen charmanten englischen Wissenschaftler, der sich mit dem tierischen Leben auf der antarktischen Halbinsel und den Meeressäugetieren beschäftigte. Und einen Experten in Vogelkunde, unseren „Birdman“. Diese Wissenschaftler haben während der Schiffsfahrt Vorträge gehalten. Auf der „World Discoverer“ war alles da: Bibliothek, Vortragsraum, Videoraum. Während der vier Tage Fahrt gab es täglich mehrmals Seminare: über Eisberge, Farben und Formationen, Namen, daß Eisberg nicht gleich Eisberg ist, wie die Pinguine leben, wie sie nach vier Jahren geschlechtsreif werden, wie sie in ihren Kolonien leben, was sie essen. Daß Männchen und Weibchen sich das Eiausbrüten teilen, was mich am meisten beeindruckte.

Wir wurden über die Flora belehrt, die wenigen, hyperempfindlichen Moose und Flechten, auf denen sich ein Fußabdruck über zehn Jahre hält. Manchmal bin ich in dem dunklen Vortragsraum eingenickt. Einmal blieb ich in meiner Kabine und hörte mir den Vortrag zu Darwin über Radio an: das Ganze hatte wissenschaftlichen Anspruch, wurde aber verdaulich serviert.

Der Hinweg durch die Kap-Horn-Passage war ruhig. Du hast draußen an Deck gelegen, hast dich gesonnt. Hattest den warmen Parka an, und wo du hingucktest, nur Wasser. Oft stand ich auf der Brücke. Aber da war schon Peter, unser Vogelmann, da und rief: Dort oben, dort fliegt der und der Vogel. Passagiere

Wir waren 130 Passagiere an Bord. Davon, wenn ich mir die Membership-List anschaue, 80 Prozent AmerikanerInnen. Dazu vier Deutsche aus Marburg, ich, ein Paar aus England, ein Südafrikaner, ein italienisches Paar, aus den Niederlanden Vater und Tochter, ein Schwede, ein argentinisches Paar. 80 Prozent der Leute waren über 60. Amis und Pensionierte also, welche Mischung! Pensionierte Industrielle, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer. Alles Leute, die viel gereist sind, die überall auf der Welt gewesen und unstillbar neugierig waren. Neugierig auf Welt, andere Kultur, andere Flora, Fauna. Da waren Leute dabei, die morgens um sieben auf die Brücke gingen, um einmal diesen einen bestimmten Vogel zu sehen.

Du frühstückst zusammen, du ißt zusammen, du läufst zusammen, du wirst gemeinsam naß. In den Vorträgen an Bord ging es auch um Ökologie. Das waren alles Leute, die vielleicht bei Greenpeace organisiert sind. Zumindest hatten sie die Greenpeace-Mentalität. Als wir hörten, daß die Franzosen aufgrund der Aktionen von Greenpeace ihr den Bau einer Flugzeuglandebahn bei ihrer Station Dumont d'Urville mitten in Pinguinkolonien hinein - stoppen wollten, haben wir an Bord Champagner getrunken. Eis

Ab und zu schwammen kleinere Eisstücke, und dann kam er: der Tafelberg. Ich stand da und schaute auf diesen Tafelberg. Und dieser Tafelberg war so groß und mächtig. So etwas hast du vorher noch nie gesehen. Und dadurch, daß das anders ist als alles, was du vorher gesehen hast, wirst du dir deiner eigenen Größe neu bewußt. Aber wer gebraucht heute schon solche Worte... Land

Am 22. sind wir zum ersten Mal an Land gegangen. Wir fuhren mit den Schlauchbooten - Sodiaks - zum Ufer, durch die Brandung. Wie es da aussah? Manchmal eine Art Steinwüste mit Mooswuchs zum Beispiel, oder du warst auf dem reinen Eis, oft bunt. Du hattest weichen Boden, wo es Erde und Flüsse gab, oder Steinfelsen, oder du warst in einer reinen Vulkanlandschaft, wo du auf schwarzem Sand gelaufen bist.

Wir waren in kleine Gruppen geteilt. Eine Stunde rumgefahren, dann eine Stunde auf die Insel. Du konntest dich auch absetzen, wenn du nicht mehr wolltest. Gummistiefel, Fluß waten, Steine kraxeln, dem Wissenschaftler hinterherlaufen. Du wurdest auch nicht so durch die Gruppe gezwungen. Doch frei warst du auch nicht. Vor dem Abendessen hatten wir eine Art Versammlung, jeder nippelte an seinem Cocktail, die Wissenschaftler kamen und bereiteten uns vor auf den nächsten Tag.

An eine Sache kann ich mich noch gut erinnern: „Und da, wo wir morgen laufen, gibt es Moose. Und diese Moose haben 100 Jahre gebraucht, um zu wachsen. Und da werden Sie nicht mit Ihren Gummistiefeln reinlatschen.“ Das hat man dann dreimal gesagt bekommen. Da braucht man keinen Sheriff, das reguliert sich dann durch die Gruppe. Das fand ich gut. Natürlich sind wir dagewesen. Aber daß wir nicht kreischend und schreiend auf eine Pinguinkolonie zuliefen, ist klar.

Uns hatte man gesagt, wir würden die Pinguine nicht durch unser Aussehen erschrecken (rote Jacken), denn sie seien farbenblind. Sie würden auf Körpergröße und Licht und Schatten reagieren. Oft erstreckten sich ihre Kolonien über Kilometer. Stationen

Ich war auf Paulette Island und auf Hope Bay gewesen, zwei Inseln. Wir waren auf Halfton Island, Deception Island und einigen Forschungsstationen. Einfach landen konnten wir allerdings nicht. Das erfordete immer Kontaktarbeit. Ob wir auch wirklich willkommen waren. Die Forschungseinrichtungen konnten unseren Besuch auch ablehnen, wie die Amerikaner, die uns erst nach langer Verhandlung auf die Palmer-Station gelassen hatten. Wahrscheinlich wegen dem „Bahia Paraiso„ -Unglück im Januar. Das argentische Versorgungsschiff, auf dem auch TouristInnen waren, hatte über 800.000 Liter Öl an Bord. Du hast nichts gesehen, aber der beißende Ölgeruch lag immer noch über der Bucht. Wissenschaftler sagten, daß wahrscheinlich erst in einigen Jahren das wirkliche Ausmaß der Katastrophe klar wird.

Die argentinische Station war befestigt. Dort lebten nicht nur drei, vier Wissenschaftler, sondern es war eine richtige Kolonie. 100 bis 200 Menschen, Familien. Du hast die Häuser gesehen, die Schule, die Kirche, den Kaufmannsladen, den Kindergarten - alles wahrscheinlich mit sehr viel Geld finanziert.

Wenn du mit den Leuten gesprochen hast, waren sie immer sehr angetan zu zeigen, wir leben hier, das ist unsere Heimat. Daß das eine Kolonisierungspolitik war, war offensichtlich. Als ich mich von der Gruppe trennte, sah ich auch die Kehrseite des Lebens, den Dreck und den Müll. Hinter dem Dorf gäbe es noch einen See, der liege hinter den Hügeln, sagte man mir. Den sah ich auch, und den vielen Müll, der rumlag. Wenn du in der Antarktis auf eine Müllhalde schaust, wird dir sehr eigentümlich zumute. Und Stationen

Alles war sehr austauschbar, deswegen habe ich es wahrscheinlich auch nicht differenziert im Gedächtnis. Es sind Hütten gebaut, in denen du kärglich lebst. Wohncontainer. Es wächst da nichts. Da sind keine Blumen. Du kannst auch nicht nach draußen gehen, um dir deine Petersilie zu holen. Du bist in deinem Container-Ghetto eingesperrt.

Auf der sowjetischen Station „Bellinghausen“ konnten wir uns frei bewegen. Wir konnten uns die Unterkünfte ansehen, den Versammlungsraum, die Literatur, viel von Gorbatschow. Eine politische Bibliothek hätte ich dort nicht vermutet. Wir wurden freundlich aufgenommen, aber auch distanziert. Im antarktischen Herbst war alles schon düster und verhangen. Leben in dieser völligen Abgeschiedenheit hat auch etwas Beängstigendes. Auf der russischen Station sah ich keine einzige Frau. Das fällt mir jetzt auf. Der harte Wolf, der alleine überwintert. Auf den anderen Stationen waren die Frauen ganz gezielt als Mütter da - bei Chilenen und Argentiniern. Stille

Ich denke an einen Nachmittag auf einer Insel. Wo zwei verlorene Forscherhütten standen und sich in einer Art Lagune junge Pinguine tummelten. Die spielten. Die Sonne schien. Ich saß auf einem Stein und schaute zu.

In der Antarktis ist die Stille zu hören. Der Wind, das Eis, das knackt, eine Seekuh, die muht. Oder daß einfach nur im Schiff irgend etwas knackt. Das mußt du letztendlich in dir selber aushalten können. Farben

Eis ist weiß, und es ist grau, es ist grün, blau, violett. Es soll Eisberge geben, die durchscheinend sind und grün, wie riesige Smaragde. Farben und Formen, ein Faszinosum. Es gibt Eisberge, die sehen dick und groß und platt aus, und es gibt welche, die erinnern an Kathedralen. Zivilisation

An Bord hatten wir, kontradiktisch zur Kargheit der Natur, die Genüsse der Zivilisation. Das Essen war exzellent. Ein Curiosum: Das Abendessen wurde draußen an Deck serviert Barbecue. Wir waren in eine kleine Bucht eingelaufen. Um uns herum das Eis, dieser wunderschöne Sonnenuntergang, diese Stille, und dann Barbecue als social event. Es hatte schon was. Es wäre völlig gelogen, wenn es mir keinen Spaß gemacht hätte. Das Zusammentreffen zweier Ereignisse, die man sich so nicht denkt. Eis und Heiß

Da war noch so ein Erlebnis. Wir fuhren mit dem Boot zu einem Vulkan, dessen eines Ende eingebrochen war, so daß du mit dem Schiff einfahren konntest. Ein dunkler, grauer, verhangener, richtig trüber Tag. In der Ecke der Bucht sah es nebelig aus. Und dann sind wir baden gegangen. Mit den Sodiaks hingefahren. Wo es nebelig aussah, kam heißes Wasser aus der Erde. Du mußtest mit Armen und Beinen rudern, um das kalte antarktische Wasser mit dem heißen Quellwasser zu vermischen. Sonst hättest du dich mit dem einen Fuß verbrannt, und der andere wäre dir erfroren. Abschied

Nach dem Abendessen wurde ein Fest gegeben. Wir haben getanzt und getrunken. Und fuhren durch den Beagle-Kanal zurück. Ich fühlte mich so vollgestopft von neuen Eindrücken. Und war froh über die drei Tage Rückfahrt. Vergessen

Vieles hat sich in der Zeit schon verwischt. Ich wollte keine statistische Wahrnehmung. Ich wollte das Erlebnis. Jetzt wird es hier Winter. Und im ewigen Eis bricht der kurze Frühling aus.