Rundschreiben des städtischen Arbeiter- und Streikkomitees Workuta vom 22. Oktober 1989

 ■ D O K U M E N T A T I O N

An die Werktätigen der Sowjetunion!

Die bisherigen Streikerfahrungen haben gezeigt, daß es keinen Sinn hat, wirtschaftliche Forderungen zu stellen, solange der entscheidende Schlag gegen das totalitär -bürokratische System noch nicht geführt ist. Deshalb erklären die Bergleute einen politischen Streik und stellen folgende Forderungen:

1. Den Streikkomitees den Status ständig wirkender Organe zu bestätigen (...); unverzüglich die bestehende Struktur der Gewerkschaften von oben bis unten zu reformieren (...)

2. Ohne die wichtige Rolle des Perestroika-Flügels der KPdSU bei der ökonomischen und politischen Demokratisierung unseres Landes zu bestreiten, fordern wir (...):

a)

Streichung des Artikels 6 der Verfassung der UdSSR (der die führende Rolle der Partei im Staat festschreibt - d.Red.); das Recht aller Bürger, sich in politischen Vereinen ... und Gruppen zusammenzuschließen (...)

b)

Direkte Wahlen des Vorsitzenden des Obersten Sowjet der UdSSR; Schluß mit der Praxis, den gesellschaftlichen Organisationen automatisch Sitze im Parlament einzuräumen (...)

c)

Verbot der Personalunion bei den Posten des Generalsekretärs und des Vorsitzenden des Obersten Sowjet.

3. Befreiung der Massenmedien von der totalen Kontrolle durch eine Partei. Das Recht eines jeden Bürgers auf freie Meinungsäußerung und auf herausgeberische Tätigkeit (...)

4. Wir glauben, daß die Ausnahmeverordnungen und das „Gesetz über das Verfahren bei der Regelung von Arbeitskonflikten“ in ihrer derzeitigen Fassung darauf abzielen, die Arbeiter des extremsten Mittels zur Wahrnehmung ihrer Interessen zu berauben: des Streiks. Sie dienen der Ausgrenzung der Arbeiterbewegung aus dem Prozeß der Demokratisierung und damit praktisch ihrer Liquidierung.

5. Die Kampagne der Massenmedien gegen die Bergleute muß eingestellt werden (...)

6. (...) Wir fordern die sofortige Veröffentichung unseres Rundschreibens in der zentralen Presse (d.h. in den Zeitungen 'Prawda‘ und 'Iswestija‘ - d.Red.) als Vorbedingung für ... Verhandlungen.

7. Wir wenden uns an die Bevölkerung der UdSSR, an alle Arbeiter und an alle demokratischen Kräfte mit dem Aufruf, unsere Forderungen auf Meetings und Demonstrationen zu unterstützen, zu ergänzen und weiterzuentwickeln.

(In Auszügen)