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Der letzte Weg der Pasionaria

Hunderttausend nahmen am Donnerstag in Madrid am Begräbnis von Dolores Ibarruri teil / Delegationen von KPs aus aller Welt gaben der großen Kommunistin das letzte Geleit / Über Lautsprecher war nochmals ihre Stimme zu hören  ■  Aus Madrid Antje Bauer

„Dein Kampf war lang und hart. Schlaf, Gefährtin Ibarruri. Ruhe aus, Genossin Pasionaria. Träume süß, Mutter Dolores.“ Seine Stimme klang brüchig, als sich Julio Anguita, der Generalsekretär der KP Spaniens, von der Toten verabschiedete. Vor ihm stand, in eine rote Fahne gehüllt, der Sarg von Dolores Ibarruri, der großen kommunistischen Kämpferin und Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE), die am vergangenen Wochenende im Alter von 93 Jahren gestorben war.

Im Jahre 1895 war Isidora Ibarruri Gomez als achtes Kind eines baskischen Minenarbeiters geborern worden. 1920 wurde sie Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens und wurde 1930 Mitglied der Komintern. Während des Bürgerkriegs war die Genossin Pasionaria die Kämpferin, die überall gleichzeitig auftauchtte und die Truppen anfeuerte. Nach dem Sieg der Franco-Truppen ging sie 1939 nach Moskau ins Exil, wo sie 1942 Generalsekretärin der PCE wurde. Die Einheit der Partei mit Moskau war ihr größtes Anliegen. Bei der Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn durch die UdSSR schwieg sie noch, nicht mehr jedoch beim Einmarsch in der CSSR. Nach dem Tod Francos kehrte sie 1977 in ihre Heimat zurück.

Hunderttausend hatten die Tote an diesem Donnerstag nachmittag vom Sitz des PCE durch die Straßen Madrids bis zur Plaza de Colon begleitet, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Danach wurde sie auf dem Almudena-Friedhof, nahe dem Grab des Gründers der Sozialistischen Partei, Pablo Iglesias, beigesetzt. In den vergangenen Tagen waren Zehntausende an ihrem Sarg vorbeidefiliert, der im Sitz der KP aufgebahrt lag, hatten vor dem Katafalk die Faust erhoben oder sich bekreuzigt. Nun waren sie aus ganz Spanien angereist und drängten sich in den Straßen des ehemals franquistischen Stadtviertels Goya. „Sie war ein Licht in der Dunkelheit“, sagte unter Tränen ein alter Mann, der aus Paris angereist war.

„Komsomol“ hatte er im Thälmann-Bataillon der Internationalen Brigaden geheißen; hinter dem Revers seiner Weste versteckt trug er ein Abzeichen mit der Aufschrift „Für Spaniens Freiheit“, die ihm vom Bataillon verliehen worden war.

Der Bürgerkrieg ist noch immer präsent bei diesem Begräbnis. An einer Straßenecke steht eine Gruppe; ihre Fahnen weisen sie als Mitglieder der kleinen „Kommunistischen Partei der Völker Spaniens“ (PCPE) aus. Die Älteren erzählen mit weitausholenden Gesten, wie sich die sowjetischen Genossen damals dem Feind entgegenwarfen, die Jüngeren hören leicht amüsiert zu. Viele sind hergekommen, die noch die metallene Stimme der Pasionaria im Ohr haben, wie sie die Kämpfer aufforderte, nicht aufzugeben in dem Krieg gegen die Putschisten des General Franco.

„Sie ist gestorben, aber wir müssen weiterkämpfen“, versichert ein zahnloser Bauer, der aus Granada gekommen ist. Für die Jüngeren hingegen ist es eher ein Stück Geschichte, das sie mit der Pasionaria zu Grabe tragen. „Sie war eine Frau, vor der die Männer strammgestanden haben“, erklärt eine junge Frau. „Ich teile ihre politischen Ansichten nicht. Aber sie hat ihr Leben lang für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft.“ Viele, die der kommunistischen Familie nicht oder nicht mehr angehören, erweisen ihr die letzte Ehre.

Jorge Semprun, der jetzige Kulturminister, und Fernando Claudin, beide ehemalige KP-Führer, die aus ihrer Partei unter intensiver Mitwirkung von Dolores Ibarruri ausgeschlossen worden waren, haben sich am Sarg von ihr verabschiedet; der Altkommunist Santiago Carrillo hatte dafür zum ersten Mal seit der Spaltung der KP vor einigen Jahren den Sitz der PCE wieder betreten.

„No pasaran!“ skandierten Tausende auf der Plaza de Colon in Erinnerung an den Schlachtruf der Pasionaria gegen die Franco-Truppen. Es wirkte hilflos. Der Bürgerkrieg war so nah und gleichzeitig so weit weg wie nie. Auf der Ehrentribüne drängten sich der nicaraguanische Innenminister Tomas Borge und Andreij Girenko, Mitglied des ZK der KPdSU, neben den spanischen Kommunisten.

Der französische KP-Chef Georges Marchais war da und Giancarlo Pajetta vom PCI. Der alte Dichter Rafael Alberti, der wie die Tote lange Jahre im Exil hat leben müssen, mußte auf die Tribüne fast getragen werden - sie sind alt geworden, die Weggefährten der Pasionaria. Als er ein Gedicht las, das er Dolores 1955 gewidmet hatte, wurden die Augen der Zuhörer feucht.

Die Lautsprecher übertrugen die Stimme der Pasionaria, aufgenommen während eines Festakts zu ihrem 90. Geburtstag. Sie singt ein revolutionäres Lied und fordert dann die Anwesenden auf, die Internationale zu singen. Zehntausende folgten auf der Plaza de Colon diesem Wunsch, sangen ein letztes Mal die Internationale für die Frau, die schon zu Lebzeiten für sie zum Mythos geworden ist, reckten die Faust und weinten.

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