„Prostistroika“ und Kondomtausch beim Hurenball

Der erste Frankfurter Hurenball unvergleichlich / 2.000 Gäste rängelten im überfüllten „Dorian Gray“ - vom Biedermann bis zum Zuhälter / Männerstrip kritisch begutachtet / Für Film über Arbeitssituation der Prostituierten wurde gespendet  ■  Aus Frankfurt Gitta Düperthal

„Es is herrlisch, es is herrlisch, mer muß dabeigewese sein, beim Frankfurter Hurenball“, juchzt die Frau ganz hinten im Saal. Sie hat sich noch einen viel beneideten Platz im hoffnungslos überfüllten Saal der Flughafen-Disko „Dorian Gray“ ergattert. Ganz hinten balanciert sie auf einer schmalen Abtrennungsmauer zu einer Sitzecke mit ihren Pfennigabsätzen. „Siehst du jetzt die Beine?“ kommt es von unten fragend zurück. „Ich sehe nur die Beine, aber das langt auch!“ Grund der Begeisterung sind die wohlgeformten Beine Reinhard Lilas, des Schwarms der Frankfurter Schwulen. Ganz klar, es kann sich hierbei natürlich nur um „Prostistroika“ handeln.

Und weiter geht's: „Die Männer sind brutal..., egal, banal.“ Kein Mensch versteht etwas, von der Bühne sind wenn überhaupt - nur Ausschnitte zu sehen. Vorn drängeln sich die Herren mit der Fliege ganz unfein mit schlechten Witzen vor: „Ich bin Arzt!“ Das kann jedoch alles die Stimmung keineswegs trüben. Und es ist nicht zu identifizieren, ob's am Mann oder am Mikro liegt, jedenfalls auch das historische „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“ kommt nur dürftig rüber. Claire Walldorf würde sich im Grabe umdrehen.

Auch bei den FrankfurterInnen fallen Mauern, die inneren Mauern nämlich. Sie geben sich sinnlich: „Tagelang habe ich überlegt, was ich anziehen soll“, meint eine Lady im soliden Kostüm. Und Cora Molloy von „Huren wehren sich gemeinsam“ (HWG) kommt sich vor „wie auf dem Kirchentag“. Und dabei hatte an diesen Massenandrang keiner glauben wollen. Nicht der Besitzer vom „Dorian Gray“, der seinen Laden als „völlig ausreichend“ einschätzte. Und auch nicht der stadtbekannte Zuhälter Engel vom Bordell „Sudfaß“: „Leut‘, es wird nichts, ich hab's schon oft genug probiert. Da kommen keine soliden Leute“, prophezeite der Loddel und verwies auf die eigenen Feste im Bordell. „Im Sudfaß drehen die Mädels unheimlich auf und der Pfarrer kommt“, kommentiert Cora Molloy höhnisch.

Aber trotz seiner Skepsis hat der Zuhälter dann 1.500 Mark für den Hurenball gespendet. Und das für einen guten Zweck: Von dem Erlös soll ein Film in Eigenregie gedreht werden. Mit Prostituierten soll endlich einmal die Arbeitssituation der Huren ohne den voyeuristischen Blick dargestellt werden.

Runde 10.000 Mark sind insgesamt gespendet worden. Die Unkosten des Hurenballs sind damit gedeckt. Unter den edlen Spendern ist nicht nur die Schriftstellerin Helga Dierichs mit einem Viertel ihres Elisabeth-Selbert-Preises, sondern ebenso die „Sauna 2000“, Lavetra-Kondome und einige andere aus der Sexartikel-Branche. Und wie es aussieht, haben die über 2.000 BesucherInnen runde 30.000 Mark eingebracht.

Das „Gorbi-Kondom“

ist der Renner

Am Eingang der Disko gibt es für jeden Besucher Kondome aus dem silbernen Sektkübel. Das „Gorbi-Kondom“ ist der Renner. Und oftmals muß die charmante Gastgeberin im Kübel ganz unten nach dem Kondom mit dem „Hammer-und-Sichel-Bildchen“ wühlen. „Darf's auch die Deutschlandflagge sein?“ „Nee, die will ich nicht!“ Nur eine Frau ist gar nicht interessiert, sie hat jetzt Feierabend: „Nein, Heike. Laß mal stecken. Heute mal nicht!“ Zu späterer Stunde geht es dann los mit wilden Tauschaktionen: „Gibst du mir den Charly Chaplin, gebe ich dir den mit 'Durchfahrt verboten'“. Einen schwarzen gegen einen roten.

In manchen Ecken stehen auch einige ältere Herren, die sich keinesfalls an die Aufforderung zur Abendgarderobe gehalten haben, sondern sich in biederen karierten Anzügen köstlich amüsieren. Sind sie vom Gesundheitsamt, von der Polizei aus jenem Amt, das von der HWG-Sprecherin Maria Lang der Einfachheit halber „Amt gegen Zuhälterei“ genannt wird oder auch von der IG Metall? „Mer waas es net!“, aber auf jeden Fall sind die genannten Institutionen alle vertreten, versichert die Sprecherin. Die Stadtverordneten der Grünen sind zahlreich vertreten. Zu später Stunde wird auch Margarete Nimsch, Dezernentin für Gesundheit und Frauen, gesichtet. Und Dany Cohn-Bendit läßt, wie man weiß, keine Gelegenheit zum Feiern aus.

So brav wie einige der Herren „vom Amt“ sind die Besucherinnen beileibe nicht alle gekleidet. Schwarze Netzstrümpfe, Handschuhe, die sich den Unterarm heraufschmeicheln, Stirnbänder mit schwarzer Rose, lange Ohrringe mit rosa Federn und schwarzen Parisern, Lackleder in Mini, Glimmer und Glitter, Dekolletes bis sonstwohin. Und die jungen Herren im Smoking wirken keinesfalls deplaciert. Oder allenfalls dann, wenn sie kichernd vor dem Koffer mit aufgeblasenen Kondomen, die sich auf Knopfdruck flachlegen oder schlechtestenfalls die Luft einfach rauslassen, herumturnen.

Einige äußerst kritische Stimmen gibt es auch. Der Männerstriptease hat es den Frankfurterinnen nicht immer angetan.

Männer-Striptease

nicht überzeugend

„Das darf doch nicht wahr sein, der hat ja noch 'ne Hose drunter!“ Oder auch: „Das ist ja blöd, das sieht genauso aus, als wenn sich dein Mann daheim auszieht!“ Die „Erotic Tigers“ haben auch keine Chance: „Ich glaub‘, die zieh'n sich aus. Tanzen können se jedenfalls net. Also müssen se irgendwas anderes können.“ Sie ziehen sich nicht aus. Nichtsdestotrotz werden sie freudig beschaut, und der Spaß an der eigenen Vulgarität ist ungebrochen. Die Organisationskraft für das Tanzstudio begutachtet - sofern sie was sehen kann - jeden einzelnen wackelnden Bauchmuskel und der Schulterpartie mit fachfraulichem Blick und kommt trotzdem zu dem Ergebnis: „Schee, der Bauchtanz.“

Derweil wackelt sie mit Stöckeln auf dem oben erwähnten Mäuerchen beschwingt selber mit. Eine gefährliche Übung. Was mir allerdings die Stimmung ein bißchen vermiest hat: Den Rauschgoldengel mit Harfe, der mich von dem Lostisch so verlockend angemacht hat, habe ich nicht gewonnen - statt dessen eine Niete.