Gebt Krenz den SED-Führungsanspruch,

■ ...wenn er nicht ehegebrochen hat. Etwas frei nach Pastor Motschmann geraten

So riesig viel Bänke hat die Martinikirche nicht, aber die sie hat, sind voll bis auf den letzten Platz. Auch mit einigen Gästen aus der DDR. „Gäste“ könne man schon nicht mehr sagen, begrüßt sie Pastor Motschmann, „jetzt, wo sie ganz zu uns gehören.“ Wieso eigentlich sie zu uns, warum gehören nicht wir zu Ihnen? An ihrer Begrüßung sollt ihr sie erkennen.

So straff und gestopft informativ die Predigt dann auch ist, ich komme immer wieder ins Träumen, wie das jetzt wohl die „Gäste“ hören. Alles Gesagte bekommt auf einmal einen doppelten Resonanzboden, weil es auf Ohren trifft, von denen man nicht wissen kann, wie sie das hören.

Denn in der Predigt geht es um Matthäus 22, Vers 15 bis 22, und zwar um das Verhältnis zu Staat und Politik. Jesus kriegt von den Jüngern der Pharisäer und den Anhängern des Herodes eine Fangfrage vorgelegt: Ob man dem römischen Kaiser, Tiberias, Steuern zahlen solle oder nicht. Die Römer waren „Besatzungsmacht“ in Palästina und wie jede Besatzungsmacht nicht sonderlich beliebt. Die jüdischen Pharisäer opponierten gegen die Besatzungsmacht und ihre Steuerforderungen, die Anhänger des mit den Römern zusammenarbeitenden Königs Herodes waren dafür.

Der Herodes der befreundeten Schutz- und Besatzungsmacht, das wäre in der DDR, denke ich, die SED, die Pharisäer wären ihre kirchlichen Opponenten. Will dieser politische Pastor in seiner Predigt wirklich auf den umkämpften Führungsanspruch der SED los? Oder gar auf die Tiefflugtoleranz seiner eigenen Partei, der CDU, geggenüber der amerikanischen Schutzmacht?

Er will nicht, er läßt die Basatzungmacht auf sich beruhen und redet von der Macht weiter. Jesus ist ja auch nicht in die Fangfrage hineingelaufen mit seinem delphischen: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Dem Kaiser, d.h. der politischen Macht, gebührt die Steuer und der Gehorsam, solange er, d.h. sie die Macht nicht mißbraucht. Das aber tut sie, wenn die Regierenden sich nicht von Gottes Wort leiten lassen. Denn die Teilung zwischen Gott und Kaiser sei nicht „fifty-fifty“ gedacht, sagt Motschmann, sondern Gottes Wort hält als Sittengesetz die Gemeinschaft zusammen, schützt sie vor dem Abgleiten ins Chaos und ist deshalb auch für die Herrschenden verbindlich. Es ist letzter Maßstab zur Beurteilung ihrer Taten.

Originell wär das eigentlich schon, Egon Krenz‘ Herrschaftslegitimität nicht an seinem totalitär -sozialistischen Sündenregister zu messen, sondern z.B. an Gottes Wort „Du sollst nicht ehebrechen.“ Obwohl es im Ergebnis auf das Gleiche hinausliefe.

Uta Stolle