DDR hat auf, Bremer Geschäfte zu

■ 10.000 Betten, 2000 Liter Erbsensuppe, viele neue Bekanntschaften und einige Geschäftemacher

2000 Liter Erbsensuppe, Tausende von Bockwürsten, kübelweise Kaffee, körbeweise Brot, rund 10.000 Betten und überall hilfsbereite BremerInnen: Die Bremer SPD hatte per Anzeige in der Rostocker Ostsee-Zeitung gerufen, und nicht alle, aber ganz viele kamen. Bremen am Wochenende zwei nach dem Durchbruch der Mauer.

Auf dem Marktplatz verteilte die Feuerwehr gegen 1 Mark egal ob Ost oder West - 4.000 Portionen Erbsensuppe, im DRK -Zelt gab's heißen Kaffee,

auf der Bürgerweide Tips und tatkräftige Hilfe für Trabifahrer: Der ADAC reparierte streikende Lichtmaschinen und Kurbelwellen. Mit einem Eimer Kühlwasser halfen BremerInnen direkt vor der Haustür aus. In der Stadthalle wurden fast rund um die Uhr Schlafplätze für todmüde RostockerInnen bei Bremer Familien vermittelt. Tagsüber konnten DDR-Bürger kostenlos Straßenbahn fahren, ins Theater gehen, Eislaufen, Sportpresseschau'Rathaus und Kunsthalle angucken. Als Eintrittskarte genügte

der Personalausweis, nur aus der DDR mußte er sein. Lediglich die Geschäfte hatten zu, weil es Gewerkschaft und Kaufhausgeschäftsführer in seltener Eintracht so wollten. Wer noch am Samstag mittag in Bremen von Walkmen und Radioweckern fürs Begrüßungsgeld träumte, mußte schon nach Hamburg, Lübeck oder Hannover fahren und kam abends oft ziemlich gefrustet zurück zum Schlafplatz Bremen: In Hamburg waren die Kaufhäuser so überfüllt, daß manche unverrichteter Einkäufe kehrt machten.

Nicht nur glückliche Gesichter gab's auch auf dem Bremer Markt: Mancher Händler versuchte die für die Jahreszeit ungewöhnliche Konjunktur von Bananen und Südfrüchten für Preissteigerungen um 100 Prozent zu nutzen. Ein gutes Geschäft mit der neuen deutsch-deutschen Nähe witterten offensichtlich auch einige Antiquitätenhändler. Ihr Tip für DDR-Gäste: Wenn das Begrüßungsgeld alle ist - finanzieren Sie ihren nächsten BRD-Besuch doch mit Ihrem Meißner -Porzellan; Ankauf sofort und gegen bar usw. Enstprechende Flugblätter fanden sich exklusiv unter vielen Wartburg-und Trabi-Scheibenwischern, ehe sie - häufig wütend zerknüllt im nächsten Papierkorb landeten.

Im Findorffer Parteibüro der SPD kommen die Mitarbeiter seit Dienstag kaum noch ins (eigene) Bett. Rund um die Uhr trudeln Rostocker Neuankömmlinge mit der Dienstagsausgabe der Ostsee-Zeitung unterm Arm in der Parteizentrale ein. Morgens werden hier Hunderte von Frühstücken serviert, Schlafquartiere vermittelt und Freßpakete aus gespendeter Schokolade gepackt. Dazu gibt's Tips für den Einkaufsbummel: Preise vergleichen!

Im Arbeitszimmer von Ex-Bürgermeister Hans Koschnick hat sich Mitarbeiterin Anne Menzen inzwischen selbst ein Notbett aufgeschlagen. Wie die meisten der übrigen Partei -MitarbeiterInnen ist sie seit Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Bis in die

frühen Morgenstunden klingelte das Telefon: Spätankömmlinge suchten Betten, liegengebliebene Trabi-Fahrer eine Werkstatt, Zugreisende hatten in den überfüllten Sonderzügen keinen Platz mehr bekommen. Das Arbeitszimmer von MdB Ernst Waltemathe ist zum Wolldecken-Lager umfunktioniert. Ein Klöckner-Kollege und Hobby-Funker hat sich als „Taxi-Fahrer“ für DDR-Besucher auf CB-Funk-Abruf zur Verfügung gestellt. Und wer kein Bett bieten kann, bietet zumindest seine Hilfe an - beim Erbsensuppe-Verteilen, als Stadtführer oder als Kaffee-Klatsch-Gastgeber.

Erst gestern abend ließ der Daueransturm auf die SPD -Parteizentrale allmählich nach. Zwei Rostocker Pärchen saßen nach einer Irrfahrt über Lübeck, Hamburg und Bremen noch beim Kaffee mit Geschäftsführer Henrik Marckhoff. Dann sorgt der ADAC doch noch einmal für Hektik: Zig Trabis sind auf der Rückreise nicht über Delmenhorst herausgekommen, sollen jetzt zurück nach Bremen geschleppt werden. In aller Eile werden noch einmal 150 Notbetten in einer Turnhalle organisiert. Und selbst wenn die wieder geräumt sind, bleibt in der Parteizentrale noch genug zu tun. Wäschkörbeweise stapeln sich die Briefe mit DDR-Briefmarken und Rostocker Poststempel in den Genossen-Büros. Und die Leute wollen alles wissen: Viele sogar, wie man eine sozialdemokratische Partei in der DDR gründet.

K.S.