„Ausländer stören uns nur...“

■ “...wir feiern unser Begrüßungsfest!“ / Viele hier lebende Ausländer haben Angst vor dem deutsch-deutschen Wiedersehen Sie fühlen sich überflüssig und bedrängt / „Jetzt, wo wir kommen, müßt Ihr die Türken aber nach Hause schicken!“

Wenig zu lachen hatten am vergangenen Wochenende nichtdeutsche Berliner. In einer Eckkneipe am Lausitzer Platz schäumt die deutsch-deutsche Besoffenheit über. An die Brüder und Schwestern aus dem Osten wird eine Begrüßungsmolle mit Korn ausgeschenkt. „Ausländer stören uns dabei nur“, so die vorherrschende Stimmung.

Leutselig unterhalten sich ein Ost- und ein West-Berliner in der U-Bahn. Sie sind begeistert, und alles sei eben Wahnsinn! Ein türkischer Fahrgast, der sich mit ihnen unterhalten möchte, wird mit harten Worten zurückgewiesen: „Jetzt laß doch mal uns Deutsche untereinander feiern.“

Grenzübergang Bornholmer Straße. Mit seinem VW-Bus kommt ein Türke aus dem Ostteil der Stadt und zieht durch sein bloßes Erscheinen sofort den Unmut der Menge, die jeden Trabi mit Jubel empfängt, auf sich. Als Antwort für den frostigen Empfang ruft er ihnen ein „Willkommen, Arbeitslosigkeit“ zu. „Was will denn der Scheiß-Türke hier“, war noch eine der zitierfähigen Antworten, die ihm daraufhin entgegengeschleudert wurden.

Viele Ausländer fühlen sich angesichts der deutsch -deutschen Aufbruchstimmung mit dem Rücken an der Wand. „Wenn demnächst irgendwelche DDR-Bürger zum Arbeiten hierherkommen und die Arbeitslosigkeit steigen sollte, werden die 'Republikaner‘ noch stärker Stimmung gegen uns machen und viele Betriebe lieber einen deutschen Kollegen einstellen“, befürchtet Erol Eren, Betriebsratsmitglied bei der Nixdorf Computer AG. Kaum ein Politiker, der sich in diesen Tagen um die Gefühlslage der in Berlin lebenden Ausländer kümmert. Sie werden mit ihren Ängsten alleingelassen.

„Die Frauen, die zu uns kommen, finden es natürlich toll, daß jetzt soviel Leben auf den Weddinger Straßen ist. Auf der anderen Seite haben sie Angst, daß sie Arbeit und Wohnung an die Deutschen verlieren könnten“, berichtet Makbule aus ihrer Arbeit im Weddinger Putte-Frauenladen.

Ufuk Ülker, Mitarbeiter beim Verein SO36, findet die Stimmung der letzten Tage dagegen erfreulich. „Ich habe mich über die gefühlsmäßige Öffnung der Deutschen gefreut. Dadurch hat die ansonsten eher kühle Atmosphäre in der Stadt menschliche Züge bekommmen. Ich hoffe, die Berliner bewahren sich dieses Gefühl. Wenn das Menschliche in der derzeitigen Situation erkannt wird, dann kann die Entwicklung auch für uns Ausländer sehr gut sein.“

Ähnliche Hoffnungen wie Ufuk Ülker verbindet der Schriftsteller Kemal Kert mit den jüngsten Entwicklungen. „Gerade wir Türken freuen uns, wenn für die Menschen Barrieren und Ausreisebeschränkungen fallen. Ich hoffe allerdings, daß die Stimmung nicht umschlägt und wir noch eine Stufe auf der Skala nach unten rutschen und irgendwo nach Berlinern, Ost-Berlinern, Übersiedlern, EG-Ausländern unter ferner liefen rangieren.“

Wenig mit den heißen Gefühlsausbrüchen der letzten Tage anzufangen weiß auch die Ur-Berlinerin Monika Wagner vom Nachbarschaftsladen Kotti e.V. „Das erste Mal fühle ich mich nun wirklich eingeschlossen in Berlin. Die Kinder können nicht mehr raus zum Spielen, die Verkäuferinnen hier im Kiez sind mit Arbeit überlastet und sauer. Die Kneipen sind so voll. Die Türken, die zu uns in den Laden kommen, haben die Angst, daß sie völllig ins Hintertreffen geraten.“

West-Berlins soziale Struktur wird neu gemischt. Wo der einzelne landen wird, ist heute noch ungewiß. Aber die Aussage einer Ost-Berlinerin zu einer Mitarbeiterin der Stadtbücherei in der Kreuzberger Oranienstraße läßt nicht viel Gutes erwarten. Sie meinte: „Jetzt, wo wir kommen, müßt ihr die Türken aber nach Hause schicken.“

Eberhard Seidel-Pielen