ZUM ONKEL GEBOREN

■ Zur Genealogie der Familie Duck

Am Anfang war der Trickfilm. Walt Disney, der US-Comic -Cartoon, war mit seinen Mickymausfilmen schon im Geschäft, als er 1934 der anständigen (und etwas drögen) Maus eine unerzogene, krakeelende Ente im Matrosenanzug zur Seite stellte: The Wise Little Hen ist der erste Auftritt des damals noch gertenschlanken Donald Duck. Aus der cholerischen Ente wird in weiteren Trickfilmen mit der Einführung der drei Neffen Huey, Dewey und Louie (Tick, Trick und Track) ein tyrannischer Onkel.

Seine endgültige Gestalt erhält er jedoch erst, als der ehemalige Disney-Angestellte Carl Barks 1942 beginnt, Comic Strips für Hefte zu zeichnen. 1901 in Oregon geboren, hatte Barks sechs Jahre lang die Stories der Donald-Trickfilme geschrieben. Er arbeitete das nie produzierte Film-Script Donald Finds Pirate Gold zu einem abgeschlossenen Heft um. Weitere Bildgeschichten folgen, in denen Barks den Duck -Kosmos entwirft und entwickelt, wie er heute bekannt ist. Donalds Charakter erhält zunehmend menschliche Züge: Mal benimmt er sich als tyrannischer Onkel autoritär daneben, um danach echte Reue für seine Ausbrüche zu empfinden. Donald Duck ist prahlerisch, traurig, stolz, ängstlich und mutig. Daheim in Duckburgh (Entenhausen) muß er mit Arbeitslosigkeit und Schulden fertigwerden. Die Lebensumstände der weißen amerikanischen Mittelschicht in den dreißiger Jahren, unter denen auch Donald leidet, waren ohne Zweifel ein Grund für die enorme Popularität des neuen Mediums Comic.

Großen Umfang nehmen in Barks‘ Werk die Geschichten ein, in denen die Familie, meist gemeinsam mit dem reichen Onkel Scrooge McDuck (Onkel Dagobert), in fernen Ländern auf Schatzsuche geht. Der für Krisenzeiten typische Eskapismus in der Unterhaltung schlägt voll auf die Donald-Duck-Stories durch. Barks, der seine Ideen schamlos aus den Mythologien der Völker zusammensucht, läßt die Ducks im Lauf der Jahre den Stein der Weisen, das Einhorn, den Jungbrunnen und die Schätze des Odysseus entdecken. Als Motiv gibt Barks Faulheit an. Auf Barks eigenes Konto geht Dagoberts Glückspfennig sowie die Einführung von Figuren wie Gyro Gearloose (Daniel Düsentrieb), Magica Spell (Gundel Gaukeley) und den Beagle Boys (den Panzerknackern). Donalds Freundin Daisy dagegen taucht bei Barks, der jahrelang ausschließlich als „der gute Zeichner“ bekannt war, nur selten auf. Die Duck-Forscherin Barbara Boatner bemerkt dazu, Barks habe „nur wenig Verwendung für weibliche Rollen“ gehabt. „Er setzte Daisy etwa so ein, wie Keaton seine Heldinnen verwendete: Sie waren da, um einen Teil der Handlung in Gang zu bringen, und verschwanden dann wieder von der Bildfläche“. Die unklaren verwandschaftlichen Beziehungen innerhalb der Familie Duck - es gibt nur Onkel, Neffen, Nichten, Tanten und eine Oma - lassen ahnen, welch soziologische Sprengkraft in den scheinbar harmlosen Bildergeschichten liegt. Viel später legten Alexander und Margarethe Mitscherlich mit ihrem Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ eine erste Einschätzung zur Duckschen Familienstruktur vor.

Carl Barks zog sich 1965 aus dem Comic-Geschäft zurück. Bis 1976 malte er mehr als hundert großformatige Ölgemälde, die Szenen seiner klassischen Comics darstellen. Barks, der Zeichnen per Fernkurs lernte, gilt heute als Richtmarke für die Qualität einer Donald-Duck-Geschichte. „Für viele Zeichner ist das ein Diktat“, beklagt sich ein ehemaliger deutscher Zeichner. „Barks gilt als die reine Lehre. Etwas anderes wird von den Verlagen nicht gewünscht. Aber auch bei den Donaldisten bin ich exkommuniziert worden.

Stefan Gerhard

Die Barks-Geschichten sind als „Klassik-Alben“ beim Ehapa -Verlag, Stuttgart, erschienen.