ENTE GUT IM ALLESBRÄT

■ „Überall ist Entenhausen“ oder Die Disneyfizierung des Alltags

Ein Ausstellungsstück ist über Nacht antik geworden: Der Panzerknacker im Todesstreifen, gestellt von einer Mickymaus -Grenzwache. Aber bei der bekannten Dummheit der echten Panzerknacker, die ja nie den großen Reibach machen durften, während Brotgeber Walt Disney den Mehrwert abschöpfte, wäre ihnen glatt zuzutrauen, daß sie nicht übern Grenzübergang sondern über die Mauer dem Panzer entfliehen wollten. Und außerdem: Eine Flucht ist eine Flucht und gehört zur Ganovenehre, und die ist wie die Gesetze des Marktes von kapitalistischer Naturgesetzlichkeit.

Der Panzerknacker als Republikflüchtling von gestern - eine schönere Aktualisierung hätten sich die Gruppe InterDuck, StudentInnen der Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig, plus disneybesessenem Professor nicht wünschen können. Gerade weil sie die umfassende, nach über 60 Jahren immer noch fortschreitende Disneyisierung noch ein Stück weiter treiben, Daisy unbeschadet ihres schüchternen Wimperncharmes in die Peepshow und Donald mit kalter Wut in die Bratpfanne schicken, bestätigt sich ihre Grundaussage: Überall ist Entenhausen. Zwar kann auch in Entenhausen die Welt längst nicht mehr in Ordnung sein. Cater Carlo als Chef eines internationalen Rauschgiftrings, Dagobert als legaler Schieber im Urangeschäft, und sein Neffe als Einkäufer von Brennstäben, die er zu Hause lagert und der Verwendung als Heizmaterial durch Tick, Trick und Track aussetzt; die Panzerknacker als Terroristen, Daniel Wilson Düsentrieb als Bewußtseinsforscher im Dienste der Entenhausener Luftabwehr..., das wäre doch realistisch, wenn nicht überholt, aber ganz so weit gehen selbst die Persiflagen der StudentInnen nicht (Ausnahme: Volksschädling Maus von Betti Blue, die Maus knabbert an einer Übermaus aus Teig).

Der Clou der Disneywelt ist ihre Beschränktheit. Dagobert bleibt immer talerreich, Donald immer bitterarm und ausbeutungswillig, Daisy immer Jungfrau. Noch in der kalkulierbaren Persiflage -Sex, Tod und Gewalt in Entenhausen- bestätigen sich die Grundwerte Entenhausens. Dem Risiko einer modischen Aktualisierung, die den Charakter der Figuren verändern würde, hat Walt Disney nur einmal nachgegeben: Als nämlich Micke 1941 im Auftrag von Rüstungskonzernen und staatlichen Institutionen an vorderster Front der Mobilmachung kämpfte (während sich noch bis zur Kriegserklärung und trotz gekündigter Verträge mit den deutschen Verleihern Nazi-Mickymaus in Wochenschauen und zur privaten Unterhaltung von Goebbels und Hitler tummelte). Ansonsten gilt bis heute, trotz geklonter Disneybabies in Yuppie-Jogginganzügen: Entenhausen ist ein komplexes System, weshalb nicht ist, was nicht sein kann. Die Einwohner Entenhausens werden ihren Müll, den sie produzieren, nie sehen können. Aber andere Einwohner mit einer anderen Wahrnehmung gibt es nicht, nur neue Schauplätze, Expansion. Eine Überlegung, die in ihrer berückenden Infantilität zur Grundmaxime der Politik vieler amerikanischer Präsidenten geworden ist und sich darüber hinaus bestens in alle Länder exportieren läßt. Genial: der Panzerknacker, ein ewig scheiternder Republikflüchtling, auf ewig verknackt in Entenhausen. Denn eine Mauer, selbst wenn es sie gäbe, ist ganz ohne Relevanz: Überall ist Entenhausen.

„Im Gegensatz zu Micke, der liebenswert und sensibel war, neigte Donald zu unglaublichen Wutausbrüchen und unverzeihlichem Egoismus. Aber gerade diese derben menschlichen Eigenschaften und niedrigen menschlichen Regungen machen ihn uns sympathisch“, befindet die Walt -Disney-Presse 1978 über das eigene Produkt. Fast ein Nachruf, denn zwar kennt Kind und Hund ihn noch, zwar wird er schon in Zweit- und Drittverwertung zur Werbung für andere produktferne Konsumgüter eingesetzt, aber aus dem Rampenlicht der Direktvermarktung in Kinos und Comics ist er längst von Vertretern niedrigerer menschlicher Regungen, Sorte Spiderman, und Vertretern alberner Erwachsenenlache, Sorte Muppets, verdrängt worden. Nicht derb genug ist er, der doch insgesamt als nationale Erziehungsinstanz gilt, nicht gefeit gegen die Anfeindungen der Pädagogik. Als Opfer seines so sympathischen Selbstdarstellungsdrangs, besser Disneys Bereicherungsdrangs, wird sein Abstieg besiegelt als didaktischer Begleiter in „Erklär mir die Welt“ und andern dummdreisten Einübungen ins vorgekaute Denken. Während Disney international zum letzten Schlag im Endsieg der Medien ausholt -in England gibt es bereits einen 24stündigen Videokanal mit Disneyfilmen- unterwandert die Lizenzgang die letzten Nischen des Designs. In der Ausstellung ist ein komplettes Horrorkinderzimmer, -küche und -bad ausschließlich bestehend aus markierten Gebrauchsartikeln, aufgebaut. Fragt sich nur, wem es mehr Spaß macht, seine Wohnung so einzurichten: den Kindern oder nostalgisch -sentimentalen Erwachsenen, die ihren konservierten Kinderkosmos mit eingeweckter Modernität verwechseln, und beim Zungenkuß ihre Unschuld mit der Mickymauszahnbürste retten wollen. Tatsächlich brechen beim Gang durch die Ausstellung hauptsächlich Erwachsene in spitze Begeisterungsschreie aus, während eine Gruppe Kinder sich konzentriert einem Donald-Duck-Video widmet.

Was also kann uns Donald Duck heute sagen? „Donald Punk. Denn einmal sind Sie sich das Besondere schuldig!“, wirbt ein Aufkleber zur Donaldisierung. Von selbstbestimmter Aneignung sprechen auch andere Plaketten: „Gebrochene Helden trinken schwer“, „Fuck the Ducks“ etc. Und im Osten konnte bis vor kurzem aufgrund unerschrockener Einzelinitiative subversiv die östliche Disneyfizierung vorangetrieben werden: Kerzen aus Polen (!), Schießbudenfiguren aus der DDR (!), Briefmarken aus der Mongolei (!) und Schokoladenfolie aus der UdSSR (!), alle entsprechend infiziert, werden als seltene Ausstellungsstücke präsentiert. Daneben nimmt der Gebrauchswert ständig zu. In Kopenhagen konnte nach Panzerknackervorbild eine Bank geknackt werden. Und in Erlangen genügte Mickey Mouse als Echtheitszertifikat, um die BürgerInnen zu einer „Amerika-Woche“ zu leimen, in der verbilligter Kaffee verkauft werden sollte als Dank an die Amerikaner „für die Garantie des reibungslosen Wegs von den Bohnenpflückern zur Kaffeemaschine“. Die größte Bereicherung, läßt die Ausstellung vermuten, bietet die Disneyfizierung der stagnierenden modernen Kunst: Warten auf Klimt von Gusti Godot (Leihgabe des Esoterischen Instituts Attersee) oder die erste (verworfene) Ölskizze zu Die Freiheit führt das Volk mit bannerschwenkender brustfreier Ente und pistolenschwingender Maus. Aber auch hier war Disney schon da, 1941 malten die Zeichner zur Zerstreuung eine Galerie Alter Meister-Buntstiftbilder, allen voran Madonna Duck mit dem unergründlichen Lächeln.

Noch die Kritik am Kriegspatrioten, Gewerkschaftsfeind und Imperialisten Disney bleibt Hommage. Daß die schönen kleinen Bildchen ausschließlich von Frauen wegen ihrer schönen kleinen Händchen koloriert wurden/werden, schreit der Disneykonzern gleich selbst in die Welt.

Dorothee Hackenberg

„Überall ist Entenhausen“, bis zum 7.1. in der Galerie am Körnerpark, Di-So 10-17 Uhr.