Der Kandidat der Linken heißt Lula

In der zweiten Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahlen wird der Arbeiterführer gegen den Kandidaten der Rechten Collor antreten / Stichwahl am 17.Dezember / Abgeschlagener Kandidat der Regierungspartei liebäugelt mit „parlamentarischem Putsch“  ■  Aus Brasilia Thomas Schmid

Vier Tage lang dauerte das Spektakel. Daß der 40jährige Fernando Collor, Kandidat der Rechten, bei den ersten Präsidentschaftswahlen in Brasilien seit 1960 am vergangenen Mittwoch die meisten Stimmen erhalten hatte, bezweifelte niemand. Wer sich aber als zweiter für das Finale, den entscheidenden zweiten wahlgang am 17.Dezember, qualifizieren würde, war vier Tage lang Anlaß zu Spekulationen. Immer, wenn die amtlichen Zwischenergebnisse für den radikalen Arbeiterführer Luis Inacio Lula de Silva sprachen, veröffentlichte „Globo“, die viertgrößte Fernsehkette der Welt, die Resultate eigener Zählungen, nach denen der gemäßigte linke Populist Leonel Brizola vor Lula lag. Am Sonntag mittag schließlich stand fest: Collor (etwa 27 Prozent) und Lula (etwa 16 Prozent) werden den zweiten Wahlgang bestreiten.

Die Fronten sind nun also begradigt. Am 17.Dezember steht rechts gegen links. Collor gegen Lula. Der eine gehörte der Regierungspartei der Militärs an, die die Politik des Landes von 1964 bis 1985 diktierten, der andere führte die größte Streikbewegung gegen die Militärdiktatur an. Der eine findet die Unterstützung der Industriellenverbände, der andere weiß die stärkste Gewerkschaft des Landes hinter sich. Oben gegen unten - möchte man jedenfalls meinen. Daß die wenigen oben zum großen Teil Collor wählen werden, ist zwar anzunehmen, doch wie die vielen unten in ihrer Mehrheit stimmen werden, ist noch offen. Collor, der Charisma und Vitalität ausstrahlt, hat gerade in den Schichten mit niedrigstem Einkommen und bei Analphabeten überdurchschnittlich viele Stimmen eingeheimst. Doch der 44jährige Lula, der auch von der progressiven katholischen Kirche unterstützt wird, findet nicht nur bei Arbeitern und Intellektuellen, sondern auch bei breiten Teilen der großstädtischen Mittelschichten Unterstützung.

Schon bezeichnet sich der rechte Collor als „Sozialdemokrat“ und gibt sich öffentlich als brasilianische Variante von Gorbatschow, Mitterrand oder Felipe Gonzalez aus. Der linke Lula, der seinen Wahlkampf mit radikalen klassenkämpferischen Reden bestritten hat, schlägt nun sanftere Töne an.

Seine Partei, die PRN, hat Collor vor neun Monaten nur gegründet, um sich als deren Kandidat aufstellen zu lassen. Sie ist völlig unbedeutend, doch hat der Senkrechtstarter nicht nur weiterhin die Unterstützung von „Globo“, auch seine Gegner aus dem rechten Lager werden sich hinter ihn stellen. Lula seinerseits, führender Kopf der „Arbeiterpartei“ (PT), der einzigen in Brasilien breit verwurzelten Partei überhaupt, darf sich am 17.Dezember eines Großteils der Stimmen aus dem Lager Brizolas sicher sein. Nun geht es darum, wie sich die Verlierer der Mitte verhalten werden. Gebuhlt wird vor allem um die sozialdemokratische PSDB von Mario Covas, der mit etwa elf Prozent der Stimmen nach Brizola den vierten Platz einnahm. Die Führung der Partei tendiert - offenbar aus Angst vor einer Parteispaltung - zu einer neutralen Haltung, die sie selbst gern „unabhängig“ nennt. Anders die Zentrumspartei PMDB, die die absolute Mehrheit der Parlamentarier und die meisten Minister stellt, deren Kandidat Ulysses Guimaraes aber bloß vier Prozent der Stimmen erhalten hat. In 19 von 27 Bundesstaaten regiert die PMDB, und immerhin wollen sich sieben von 19 Gouverneuren der Partei im zweiten Wahlgang auf die Seite des linken Kandidaten schlagen, nur einer hat sich bereits zu Collor bekannt.

Während die Führung der PMDB - vermutlich ohne Folgen - am Wochenende beschloß, alle Parteimitglieder auszuschließen, die zu Collor kippen, machte der geschlagene Ulysses einen Vorschlag, wie Collor und Lula zu stoppen wären. Man könnte doch den „Parlamentarismus“ schon jetzt einführen, meinte der 73jährige Altpolitiker und fand sofort Unterstützung beim Heeresminister Leonides Peres Gou?alves. Die Verfassung sieht vor, daß die Brasilianer 1993 entscheiden sollen, ob sie eine Präsidialrepublik wollen oder ein System, in dem das Parlament den Ministerpräsidenten wählt, und der vom Volk gewählte Präsident - in diesem Falle Collor oder Lula vor allem Repräsentationspflichten nachzukommen hätte. Mit einer Dreifünftelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments könnte dieses selbst allerdings den „Parlamentarismus“ schon heute auf legalem Weg einführen. Doch Collor und Lula, die sich beide grundsätzlich zum „Parlamentarismus“ bekennen, waren sich sofort einig: Das wäre ein „parlamentarischer Putsch“. In der Tat käme es einem kalten Staatsstreich gleich, wenn die Regierungsparteien mit ihrer Mehrheit im Parlament eine Änderung zu ihren Gunsten beschließen würden

-jetzt, wo über ein demokratisches Votum feststeht, daß sie die Gunst von 90 Prozent der BrasilianerInnen verloren haben.