Dialog aneinander vorbei

Die Diskussion mit Vertretern der DDR-Opposition war geprägt von Unverständnis / Den Grünen fehlt eine Vorstellung über die politischen Konsequenzen der „November-Revolution“ in der BRD  ■  Von Gerd Nowakowski

Saarbrücken (taz) - „Ich verstehe nicht mal eure Sprache.“ Katrin Eigenfeld vom „Neuen Forum“ aus Halle spricht am Samstag in jenen ungekünstelten Worten, die soviel zu der Glaubwürdigkeit der Opposition in der DDR beigetragen hat. Sie, die den Perspektiven-Kongreß kurzerhand in „Spekulationen-Kongreß“ umtauft, benennt damit die Sprachlosigkeit, die eine doppelte ist: ein Nicht-verstehen -Können und ein Nicht-verstehen-Wollen. Der „Prozeß des Zuhörens“, den der Sprecher der Bundestagsfraktion, Helmut Lippelt, für das kurzfristig durch die „November-Revolution“ zum Schwerpunkt gemachte Thema „Umbruch im Osten - im Westen nichts Neues?“ wünschte, kommt selten zustande.

Die immense Spannbreite der politischen Vorstellungen bei den DDR-Gästen auf dem Podium mag dazu beitragen. Ludwig Mehlhorn von „Demokratie jetzt“ ließ keinen Zweifel daran, daß Demokratie nur als westlicher Parlamentarismus für ihn vorstellbar ist. Er ist auch der einzige, der sich zum Thema Wiedervereinigung äußert. Eine „auf immer festgeklopfte Zweistaatlichkeit“ sei ungeschichtlich; allerdings: ein „Vollzug der Vereinigung jetzt bedeutet Kolonisierung“. Mehlhorn zieht eine Linie von Hitler bis Honecker, wenn er sagt, man müsse die „Infrastruktur einer modernen Demokratie erst schaffen - sie ist bei uns seit 1933 zerstört“. Für ihn ist der Sozialismus unumkehrbar und endgültig gescheitert.

„Die Utopie des Sozialismus ist nicht ausgeträumt“, setzt Marion Seelig von der „Vereinigten Linken“ dagegen und wird vom undogmatischen „linken forum“ der Grünen warmherzig aufgenommen. Parteienpluralismus kann für sie nur ein erster Schritt zum „System der direkten Demokratie“ sein. Sie und ihr Mitstreiter Thomas Klein setzen auf die Erneuerung des Sozialismus, in dem die Werktätigen ihre Bedürfnisse unmittelbar äußern können. „Ich kenne keine historische Panne des Kommunismus“, erklärt Klein - es hat ihn noch nirgends gegeben.

Katrin Eigenfeld vom „Neuen Forum“ vermeidet es dagegen, über die Systemfrage zu spekulieren. Sie spricht von der Überforderung der letzten Wochen: „Bei uns schüttelt sich alles in ein neues Muster“, das brauche Zeit zur Reflexion, wehrt sie sich gegen vorschnelle Vereinnahmung: „Es gibt keinen Weg, der Weg kommt beim Gehen.“ Gesprochen wird von der schwierigen Realität, wenn die „staatsfeindlichen“ Forderungen vom September inzwischen von der FDJ übernommen sind: „Wir haben einen Kieselstein angestoßen, und eine Lawine ist zurückgekommen und hat uns fast erschlagen.“ „Historisch voraus“ sei die DDR der Bundesrepublik, fügt die Hallenser Bibliothekarin an: „Bei uns war das Volk auf der Straße, macht das erst mal nach.“

Viel Beifall gibt es an beiden Tagen von den rund eintausend Zuhörern; aber er ist verteilt. Jeder greift sich heraus, was ihm paßt; die DDR-Gäste wurden zu Stichwortgebern der eigenen Anliegen gemacht. Die zu den Linken zählende Vorstandssprecherin Verena Krieger warnt die Gäste aus der DDR vor der „Aufkaufpolitik des westlichen Kapitals“ und befürchtet einen „idealen Nährboden für Rassismus“. „Einseitige Abrüstung und die „Destabilisierung des eigenen Lagers“ sei der „einzig realistische und überzeugende Weg“, dagegen anzugehen. Gemeint mit der Kritik ist der Realo-Flügel mit seiner Bejahung der Nato. „Bevormundung der DDR-Opposition von links“, nennt der Realo -Wortführer Udo Knapp Kriegers Rede und macht sich zum Anwalt der Marktwirtschaft. Für ihn gibt es einen „unauflöslichen Zusammenhang“ zwischen Sozialismus und Stalinismus. Knapp wird niedergebuht, über die Plausibilität seiner These nicht weiter diskutiert.

Dafür gibt es eine unverhoffte Übereinstimmung: Verena Krieger trifft sich mit Joschka Fischer in der Frage der Wiedervereinigung. Beide lehnen sie ab: Fischer als Sühne für Auschwitz; Krieger, um die DDR vor dem Kapital zu retten. Andere fragen dagegen, warum die grüne Forderung nach Auflösung der Grenzen nun ausgerechnet bei der DDR nicht gelten solle. Merkwürdig; in einer Situation, in der soviel in Bewegung ist, so viel Gestaltungsspielraum sich auftut, dominieren bei den Grünen die Ängste vor der Veränderung, die sich in Europa auftun. Positive Aspekte der DDR-Revolution für die eigenen Politikmöglichkeiten werden kaum einmal angesprochen. Es bleibt vor allem eine Systemdebatte. Zwar fordert Vorstandssprecher Ralf Fücks der davor warnt, „in der Zerfallskrise des Staatsmonopolismus jetzt vor allem den Jungbrunnen des Sozialismus zu sehen“ - eine Inititive zur vollständigen Entmilitarisierung beider deutscher Staaten und „Selbstbeschränkung“ der BRD, ohne die „es keine Selbstbestimmung für die DDR gebe“. Der Aufbruchappell in seiner Eröffnungsrede aber hat etwas Wehleidiges an sich: „Noch nie in der Nachkriegszeit waren die Chancen für Demokratie, Abrüstung und Zusammenarbeit in Europa so groß wie heute, und ausgerechnet jetzt regieren hier Jammergestalten wie Kohl und Kollegen.“ Joschka Fischer nennt die Grünen in seinem Beitrag eine „Status-quo-Partei“. Er wehrt sich gegen eine „überholte Sozialismus-Diskussion“, während in Osteuropa ein Hungerwinter drohe. Wo es hingehen soll, läßt er offen. Die Partei müsse „aufhören mit dem innergrünen Pipifax“, erklärt er und bekommt den meisten Beifall. „Substanzlos und geschwätzig“ nennt später der linke Bundestagsabgeordente Ulrich Briefs die Debatte; unkritisch anbiedernd an die DDRler, sagt der Ökonom Reinhard Pfriem. Der polnische Oppositionelle Kazimierz Woycicky bietet eine Erklärung für das schwierige Gespräch an: Weil das Wort „Sozialismus solange Eigentum des Staates war“, gebe es nun Schwierigkeiten, damit zu hantieren. „Benutzen wir wenig Etiketten, sprechen wir inhaltlich anderenfalls werden wir viele Mißverständnisse haben.“