„...die koofen keene Bananen“

Am zweiten Wochenende mit einer durchlässigen Mauer macht sich Ernüchterung breit / Viele Übergänge und der Verzicht auf die Trabis hält das Chaos in Grenzen / Geschätzt wurden zwei Millionen Besucher  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Der Regierende Bürgermeister von West-Berlin wurde am Sonntag früh sein Geld nicht los. Persönlich hatte er sich im Rathaus Schöneberg als Zahlmeister fürs Begrüßungsgeld hingesetzt, doch die meisten DDR-Bürger waren nicht gekommen, um sich den blauen Schein abzuholen. Sie wollten dem Regierenden nur mal die Hand schütteln. Walter Momper sei ein „großer Politiker“, sagte eine ältere Frau aus dem Bezirk Halle: „Es ist für uns so beruhigend, wenn einer, der das Sagen hat, die DDR akzeptiert und anerkennt.“ So ruhig wie im Rathaus Schöneberg war's sonst nicht in der Stadt, aber so überfüllt wie am letzten Wochenende waren die Auszahlstellen in West-Berlin auch nicht. Durch die Öffnung neuer Grenzübergänge im Laufe der letzten Woche verteilte sich die Einreise der DDR-Bürger und Ostberliner rund um die Stadtgrenze.

Wieviele Menschen tatsächlich gekommen waren, wußte keiner genau. Die Polizei hatte nicht gezählt und weigerte sich auch, eine Schätzung abzugeben. 'Adn‘ meldete fast zwei Millionen. Das Chaos in der Stadt blieb am Wochenende aus. Die U-Bahnen waren zum Teil zwar voll, aber das Verkehrssystem ist nicht zusammengebrochen. Mehrere aus Westdeutschland und von Berliner Busunternehmen zusätzlich gecharterten Reisebusse fuhren halbleer durch die Stadt. Auch hatten die Besucher offenbar begriffen, daß der Kurfürstendamm nicht das Einkaufsziel schlechthin ist. Der Obsthändler in der Nähe des „Kranzler“ saß abends um 6 noch auf seinen vollen Kisten: „Versteh‘ ick nich, die koofen keene Bananen.“ Viele besorgten sich Kaffe und Schokolade in den Außenbezirken. Ruhe herrschte auch an den Grenzübergängen.

Der Jubel des vergangenen Wochenendes über jeden Ostberliner, der die Grenze überschritt, ist verhallt. Kein Trabi wurde mehr beklatscht. An diesem Wochenende war der Empfang professionell. Die 'Welt‘ wurde mit einem Strauß Nelken kostenlos verteilt, genauso die 'Morgenpost‘. Die Alternative Liste empfing die Gäste aus dem Osten mit einem Flugblatt, und der Senat bot ein Faltblatt für erste und wichtige Informationen an. Die taz-Handverkäufer boten das Blatt zum Kurs 1:1 an. So bepackt, machten sich die Besucher auf in Richtung Innenstadt, und auch hier begegnete ihnen Professionalität. „Weiße Engel“, ausgerüstet mit Megaphonen, vermittelten Schlafplätze, wußten, wo es warme Suppen gibt und erklärten den Weg. Radio Hundert,6 hatte vor der ehrwürdigen Gedächtniskirche eine Lautsprecheranlage aufgedreht, deren Sound einem die Ohren durchpustete. Dagegen nahm sich das „Jazzkränzchen“, das im SPD -Stadtgespräch gemeinsam mit einer Jazztruppe aus Köpenick spielte, bescheiden aus. Die Laune vor diese Bühne war dafür merklich besser. Einer älteren Frau aus der DDR rannten die Tränen über die Wangen. Ob sie gerührt war oder nach diesem Tag auf dem Kudamm einfach fertig? Ein Familienvater aus Dresden ist zum zweiten Mal da und hat Frau und Kinder diesmal zu Hause gelassen: „Es gab zuviele Tränen, weil wir das teure Spielzeug nicht kaufen konnten.“

Das Freudenfest des letzten Wochenendes ist pragmatischer Ernüchterung gewichen. „Ich bleib‘ am Wochenende zu Hause“ war die meistgegebene Antwort der Westberliner auf die Frage nach den Plänen für die freien Tage. Taxifahrer hatten sich freigenommen: „Zuviel Streß auf der Straße.“ Was man vor Tagen im Überschwang noch bereit war zu verzeihen, wurde jetzt hier und da schon Stein des Anstoßes: Trabis, die auf Gehwegen parkten, überfüllte U-Bahnen, Anstehen im Lebensmittelgeschäft. Aus den südlichen Stadtteilen tauchten Meldungen von zerstochenen Reifen an DDR-Autos auf. Die Freude über den Fall der Mauer scheint kurzatmig. Die Folgen dessen, worauf die DDR-Bürger 28 Jahre warten mußten, erträgt so mancher in der Stadt keine Woche.