„Unser Bunker in Nürnberg“

■ Überleben unter der Erde: Eine Bremerin erinnert sich an ihre Nachkriegs-Kindheit: „Ich wär heilfroh, wenn niemand in den Bunker müßte“

Dr. Beatrice Hecht-El Minshawi lebt in einem hellen, gemütlichen Bremer Haus. In ihre Träume drängt sich bis heute ein düsterer, langer Flur: Zwei Jahre ihrer Kindheit, 1952-54, hat sie mit Eltern und Geschwistern in einem Bunker verbracht. Die Warnung von Sozialsenator Henning Scherf, Aus -und ÜbersiedlerInnen müßten in Bremen mangels Alternativen bald in Bunkern wohnen, hat sie sehr genau wahrgenommen. Sie erinnert sich:

„'Unser Bunker in Nürnberg‘. Der ist nicht so hoch wie die in Bremen. Der war ebenerdig. Vor dem Bunker war ein Schlachtfeld mit lauter Unebenheiten, mit Matsch und Müll, so ähnlich wie da, wo heute die arabischen Familien am Dobben leben.

Dann kam man vom hellen Tageslicht in einen tiefen Schacht hinein. Ein ganz langer Flur, immer dunkel. Ständig war der Zeitschalter kaputt. Das ist auch das, was in meinen Träumen noch immer vorkommt. Dieser Flur. Rechts und links gingen 15 bis 20 Zimmer ab. Jedes Zimmer war ungefähr 4 mal 4 Meter groß. Alle ohne Fenster. Und in jedem Zimmer gab's ne Familie.

Bei uns zu Hause haben meine Eltern einen Teil mit einem Vor

hang als Schlafkabine abgegrenzt. In einer Ecke wurde gekocht. Und dazwischen wurde irgendwo ein Tisch gedeckt. Es gab kein fließend Wasser und keine Heizung, sondern einen Kohleofen. Demententsprechend gab's immer 'dicke Luft‘.

Es waren viele Familien, es war immer Krach, und es gab natürlich Reibereien. Weil es keine Fenster gab, haben viele die Tür zum Flur aufgelassen. Du hast immer mitgekriegt, wenn's irgendwo Kohl gab oder weiß der Kuckuck was. - Es gab keinen

Waschraum für alle, weder für die Körperhygiene noch für die Klamotten. Es gab auch keine Großküche oder einen Kinderraum. Da wurde jede Mutter oder jede Familie mit ihren Kindern sich allein überlassen. Es war eine große Fluktation. Wir wohn

ten ungefähr zwei Jahre im Bunker.

Ich bin in dem Jahr eingeschult worden. Ich fühlte mich so beschissen. Ich hab mich so geschämt, aus diesem Kellerloch zu kommen und dann in die Schule zu gehen. Mein Vater war sozial gesehen ein schwacher Mensch, der hat nie das geleistet, was Männer sozusagen zu leisten haben. Er war sehr schwer asthmakrank. So wie ich auch. Die ganze Bunkerzeit sind wir tausende Asthmatode gestorben. Meine Mutter hat in der Zeit zwei kleine Kinder verloren. Der eine hatte Pseudo-Krupp... Ich weiß gar nicht, wann meine Mutter Zeit zum Schlafen hatte. Ihr ist es zu verdanken, daß wir überhaupt überlebt haben. Sie hat Nachtschichten gemacht, Putzarbeiten, Heimarbeiten... Sie hat eine Wahnsinns -Anstrengung geleistet, da raus zu kommen. Als sie einen besseren Job bekam, war es wieder möglich, Miete zu zahlen und wir kamen in eine Sozialwohnung.

Ich konnte damals nicht lesen. Einmal waren das die Lichtbedingungen, ich hab damals auch meine Brille bekommen. Und ich hatte keine Ruhe. Ich habe auf die Kinder aufgepaßt. Und mein Vater hat blöderweise die ganze Zeit

geraucht... Die erste Klasse mußte ich zweimal machen. Ich bin dadurch total rausgefallen. So hab ich auch nur sieben Volksschulklassen.

Das ist ein Trauma. Echt ein Trauma. Es war ja auch uns Kindern immer klar, daß wir da nicht richtig hingehören. Zehn Jahre vorher hat meine Mutter noch mit ihrer adeligen Familie in einem Riesenschloß gelebt, auf einem Riesengut. Das ist verrückt.

Es war ein tiefer Abstieg, in so ein Ghetto, in so einen Bunker verfrachtet zu werden. Meine Großeltern hatten davon überhaupt keine Ahnung. Wir hatten bei ihnen in den Ferien sechs Wochen lang ein normales Leben. Das kam mir vor wie so ein Ausgang vom Gefängnis und dann wieder zurück in den Bau.

-Ich hab so dran gedacht, als ich gelesen habe, die DDR -Übersiedler müssen vielleicht in den Bunker gehen. Wahnsinn. Da hab ich immer überlegt, ob es schlimmer wäre, in einen Bremer Bunker zu gehen mit mehreren Etagen und ob die dann vielleicht auch Fenster bekommen. Oder ob's schöner ist ebenerdig. Auf jeden Fall wär ich heilfroh, wenn niemand in den Bunker müßte.“

Gespräch: B.D.