„Auf unserem Rücken...“

■ Gespräch mit zwei türkischen Studenten über deutsche Hochgefühle und zunehmende Ausländerfeindlichkeit

Samstag abend, Grenzübergang Friedrichstraße. Eine Gruppe türkischer und deutscher StudentInnen, auf dem Nachhauseweg von einem Besuch in Ost-Berlin wartet auf die S-Bahn. Samstag abend, Grenzübergang Friedrichstraße, etwa zwanzig Herthafrösche und Skinheads skandieren lauthals „Ausländer raus“, „Deutschland den Deutschen“. Der Trupp wächst schnell auf über 50 Rechtsradikale an, die, rassistische Parolen brüllend, die Studenten einkreisen. Als die S-Bahn schließlich einfährt, gelingt es den neun Leuten, nach Rempeleien einzusteigen und die Türen von innen zuzuhalten. „Sie haben von außen wie die Wilden auf die Tür eingedroschen, als ob sie auf Jagd wären“, sagt Murat, Informatikstudent. „Das schien ewig zu dauern, bis der Reichsbahner endlich 'Zurückbleiben‘ gerufen hat.“ Der Schock sitzt ihm und seinem Kommilitonen Cetin noch in den Gliedern, ebenso die Wut über eine zunehmend aufgeheizte nationale „Hochstimmung“ in der Stadt - für ihn und andere ImmigrantInnen ist das mehr als nur die Schattenseite der Euphorie der letzten Tage:

taz: Ihr habt euch nach diesem „Vorfall“ noch einmal zusammengesetzt. Wollt Ihr euch gegen Rechtsradikale organisieren?

Cetin: Einige meinten, man müßte jetzt Gruppen bilden und rumziehen und den Neonazis das Leben schwer machen. Andere sind eher der Auffassung, daß man die Grundlage, auf der so etwas entsteht, zerschlagen muß. Zum Beispiel die Propaganda von CDU und REPs gegen das kommunale Wahlrecht und deren Scheinargumente, mit denen hier in der Stadt Nationalismus verbreitet wird. Vor allem die zweite Generation der Ausländer muß jetzt für sich selbst sprechen. Die sind an der Reihe, sich zusammenzuschließen und zu sagen: Wir nehmen das nicht mehr länger hin.

Nationale Stimmung hat seit Öffnung der Mauer erneut Auftrieb bekommen. Bekommt ihr das zu spüren?

Murat: Ich habe das Gefühl, die Stimmung wird auf dem Rücken der ausländischen Bevölkerung ausgetragen. Diese Problematik gerät immer mehr in den Hintergrund. Es wird überhaupt nicht mehr beachtet, wie tagtäglich ImmigrantInnen mißachtet und entwürdigt werden. Ich sehe mich da im Moment auch weder von der AL noch von der SPD gestärkt. Das war vielleicht früher so; jetzt fühle ich mich da ziemlich verlassen.

Cetin: Als ich von der Öffnung der Grenzen gehört habe, hatte ich gemischte Gefühle. Einerseits habe ich mich natürlich gefreut, daß die Grenzen geöffnet werden. Andererseits habe ich gesehen: Hier wird's eng, wo es schon Probleme wie Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit gibt. Und das wird schnell auf die Ausländer übertragen. Da wird dann schnell gesagt: Warum können wir die nicht nach Hause schicken. Das ist sehr einfach gedacht...

Murat: Aber die Stimmung ist da.

Interview: Andrea Böhm