: Der falsche Stil
Senatorin Schreyer und die Stromtrasse ■ K O M M E N T A R
Die Stromtrasse ist ein Symbol einer auf Wachstum ausgelegten Energiepolitik der Bewag - aber kein Groß -Projekt, das die Massen auf die Straße treibt. Das politische Nein zur Stromtrasse hätte für die SPD einen Haufen Konflikte mit der Bewag und viel Kritik von der CDU, der Industrie und der Springerpresse bedeutet - ohne bei der Bevölkerung viel gewinnen zu können. Also fiel die politische Entscheidung, die Stromtrasse unter der Rubrik „Altlast“ abzubuchen.
Wie sich jetzt zeigt, hat Michaele Schreyer einen Politikstil gewählt, der darauf hinausläuft, sich selber zusätzliche Sachzwänge zu schaffen. Statt offensiv zu thematisieren, wo die Grenzen des eigenen Handelns liegen, und die heiklen Fragen zu politisieren, ließ sie sich darauf ein, diese im Vorfeld zu bereinigen und abzufangen. In puncto Stromtrasse haben sich viele (sogar SPD-Abgeordnete) gewundert, warum sie sich vor Monaten mit Wirtschaftssenator Mitzscherling auf dieses „Schlichtungsverfahren“ mit dem Gutachter Wollmann einließ - statt die umwelt- und energierechtlichen Prüfungen durchzuführen, die im Koalitionsvertrag vereinbart waren. So traten angebliche juristische Sachzwänge an die Stelle von politischen Argumenten - und es ist nur logisch, daß der nächste Gutachter - diesmal aus ihrer eigenen Verwaltung - in Zweifel zieht, daß diese juristischen Sachzwänge so eindeutig gar nicht bestehen. Weil sie sich einmal auf diese Ebene von Sachzwängen begeben hatte, mußte sie dieses Gutachten als Non-Paper behandeln und ein neues Gutachten in Auftrag geben, als der Inhalt des Non-Papers so langsam durchsickerte.
Viele Basisaktivisten hegen ohnehin ein großes Mißtrauen gegen ihre Funktionäre und „die Senatorinnen da oben“. Mit ihrem verdeckten Verfahren wird dieses Mißtrauen der Basis nun auf fatale Weise bestätigt. Die Kehrseite dieser Argumentation mit juristischen Sachzwängen war ohnehin eine Radikalität, die sich in dem Pochen auf grüne Prinzipien erschöpfte, mit politischem Eingreifen aber wenig zu tun hatte.
Ursel Sieber
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