SCHWEIZ

■ Janos Szabo: "Erzieher und Verweigerer - Zur deutschsprachigen Gegenwartsprosa der Schweiz"

Beim Blättern in einem Buch über „Gegenwartsprosa der Schweiz“ stieß ich auf zwei interessante Gedanken. „Das Boot ist voll“ war der Schweizer Standardspruch, als in den 30er und 40er Jahren Flüchtlinge Rettung in der Schweiz suchten. „Wie wenig beweiskräftig die damalige Argumentation war, zeigt die Tatsache, daß die Schweiz 1970 nicht weniger als 1.213.000 Ausländer (zum Großteil 'Fremdarbeiter‘ aufnehmen konnte, während beim Kriegsausbruch 7100 Flüchtlinge im Land lebten.“ So schreibt der Ungar Janos Szabo in seiner Studie zur Schweizer Literatur. Er zitiert auch eine Notiz von Max Frisch, dem „Tagebuch 1946-1949“ entnommen: „Unter Kultur verstehen wir wohl in erster Linie die staatsbürgerlichen Leistungen, die gemeinschaftliche Haltung mehr als das künstlerische oder wissenschaftliche Meisterwerk eines einzelnen Staatsbürgers.“ Der Schweizer Autor kritisierte damals genau das, was ein paar Jahre später als 'erweiterter Kulturbegriff‘ ausgerechnet in der bundesrepublikanischen Linken Karriere machen sollte. Frisch wandte sich gegen die Verspießerung des Exzeptionellen, gegen die Manie, alles über den Leisten des gutgenährten, gesunden Menschenverstandes schlagen zu wollen. Die Neuen Linken, die zwanzig Jahre später den erweiterten Kulturbegriff predigten, standen den Sünden einiger ihrer Großväter näher als sie dachten.

Janos Szabo, Erzieher und Verweigerer - Zur deutschsprachigen Gegenwartsprosa der Schweiz, Königshausen + Neumann, 186 Seiten, 38 DM