Das große Fest der Machos

„Fieracavalli“ in Verona / Die angeblich größte Pferde- und Reitausstattermesse des europäischen Festlandes fiel vor allem durch Prahlerei und unschönen Umgang mit den Tieren auf  ■  Von Werner und Xenia Raith

Verona (taz) - Der Eingang, pardon: das Entree, empfängt den Besucher, immerhin, noch mit einem wild aufbäumenden, von naturbelassener Schönheit strotzenden Bronzepferd; ein feiner nüsternblähender Rappe hält gleich daneben Hof, umringt von zwei- bis dreihundert offenen Mündern, die so gleich zu Anbeginn von der Reinheit und Schönheit des Equitanen überwältigt werden. Und dieses Gefühl soll, neben den Worten im Katalog und den durch Lautsprecher unentwegt wiederholten Ansagen, möglichst den ganzen Tag Kopf und Herz des Beschauers besetzt halten.

Das ist auch bitter nötig. Zumindest für all jene von den avisierten 150.000 „begeisterten Besuchern“ der „91. Fieracavalli“ in Verona, die ihr kritisches Auge nicht zu Hause vergessen haben. Denen nämlich mag, trotz der enthusiastischen Pressetexte („diese Schau ohnegleichen“, „das beste unter den Reitveranstaltungen der Welt“) so manches Mal eher schlecht werden, wenn sie sich durch die Ausstellungshallen und an den Vorführungsflächen dieses angeblich „größten kontinentalen Treffens der Pferdewelt“ vorbeiquetschen.

Bundesdeutsche, französische und spanische Aussteller bestreiten, daß dies die aller-allergrößte Pferde- und Reitausstattermesse des festländischen Europa sei; doch das mag man dahingestellt lassen. Sicher ist, daß es sich dabei um eine der größten Selbstbespiegelungsveranstaltungen des Machos schlechthin handelt - und vielleicht auch um eine der gefährlichsten und quälerischsten Arten des Umgangs mit Reittieren, die man sich vorstellen kann.

So rasen die Traber des Pony-Rennturnieres - das auf einer notdürftig aufgeschütteten Sandbahn mit immer wieder durchkommenden Asphaltflecken und konsequenten Ausrutschern nahezu aller Pferde stattfindet - zum Aufwärmen munter zwischen den dahinschlendernden Besuchern herum, trappeln, galoppieren, piaffieren meist mit schlampigen Jeans und Turnschuhen bekleidete, aber immer mit martialischem Schnurrbart oder halblangen Stoppeln im Gesicht ausgestattete Mannsbilder durch die dichtgedrängten Messewanderer, führen verkaufswillige Händler ihre Pferde ungeniert zwischen den ums Mittagsbrötchen anstehenden, schon müdegewordenen, hungrigen Hubertusjüngern vor; oft mit Peitschenknall und voller Lust zum Buckeln aufstachelnd man soll sehen, was für ein wildes Vieh das ist, es soll ja einen guten Preis bringen.

Brachiale Bremsproben

In der Halle 19, wo ein knapp zwölf auf 25 Meter langer, mit einer Kordel abgesteckter Vorführplatz aufgeschüttet ist, zeigt ein Cavaliere - selbstverständlich die Zügel immer nur in einer Hand, die andere braucht er für die unvermeidliche Zigarette - wie schnell das Pferd bremsen kann: Er bringt es mit sechs Galoppsprüngen auf Höchsttouren, dann muß es abrupt stoppen, direkt vor den Zuschauern. Ein anderer stellt immer neue Rekorde in der Mittelhandwendung auf siebenundzwanzig Mal schafft er es, das Pferd in wütender Geschwindigkeit um sich drehen zu lassen. Aber das soll, so ein Zuschauer, der offenbar seit drei Tagen unentwegt dasteht, noch nicht das Höchste gewesen sein. Ein dritter zeigt das, was er für eine Levade hält - er setzt sich ganz nach hinten und zieht dem Pferd mit superscharf geschnallter Kandare so hart im Maul, daß es sich aufbäumt, und das macht er gut ein dutzendmal am Stück, dann braust er eine halbe Runde herum - könnte ja sein, daß jemand am anderen Ende die Sache noch nicht gesehen hat - und beginnt von neuem. Der Ausritt aus dem Viereck macht noch mal Eindruck: wie herrlich sie doch tänzeln, diese edlen Tiere. Folgt man ihnen zum Stall, sieht man auch warum: Sie sind, ohne Ausnahme, lahm und können sich gar nicht mehr anders als mit hippeligen Schritten aufrechthalten.

Draußen im Freien die besonders Schneidigen: selbstverständlich, wie überall bei dieser Schau (eine Dressurveranstaltung für Jugendliche, eine liebevoll einstudierte Anfängervoltigiergruppe, eine Handvoll Amazonen bei den Springwettbewerben und zwei original gekleidete Andalusier-Vorführdamen ausgenommen), fast nur Männer auf den Pferden. Nahezu allesamt mit einem Sitz, der jeden bundesdeutschen Ausbilder in schieres Grausen versetzen und ihn zum Griff nach der Longe veranlassen würde. Mit einer Zügelhaltung, die man nach fünf Anfängerlektionen eigentlich beseitigt haben müßte, mit Sporen, die gar nicht scharf genug sein können - aber mit dem Ausdruck des „weiten Landes“ im Blick, schreiend und gestikulierend, weil das Wissen und Erfahrung suggeriert und vor allem Pferdebeherrschung; den Kopf nach hinten gedreht, damit man auch sieht, welche Spur von Eindruck man hinter sich herzieht. Die Leute vorne werden schon aufpassen. Der Sanitäter vor Halle 39 berichtet von täglich mehr als einem Dutzend gebrochener und verrenkter Beine, Arme, Becken und ähnlichem.

Blutige Sturzbäche

Am hinteren Eingang, nahe einem Restaurant und daher auch immer mit Publikum, führt einer Hohe Schule vor. Piaffen und Levaden: der bildschöne Andalusier ist dabei so kurz angebunden, daß er selbst im Stand Atembeschwerden hat. Da sich das Pferd, Zeichen mangelnder Führung durch den Reiter, bei der Piaffe vorwärtsbewegt, treibt er es, an den sperrenden Boxen angekommen, wieder zurück und beginnt von neuem. Am Bauch des Pferdes haben sich bereits zahlreiche Sturzbäche gebildet - er krallt die superscharfen Sporen hinein, als müsse er das Tier abstechen. Einen Frau kommt ab und zu und wischt das Rot mit einem Tuch weg: so ist bereits die ganze Unterseite des Schimmels rötlich. Direkt nebenan hat, in einem Campingbus, der Tierarzt sein Quartier - aber der entsteigt seinem Gefährt nur, wenn er mal wieder ein Pferd zwecks Verkaufs untersuchen muß. Wegen Tierquälerei schreitet er nicht ein. „Was soll denn das?“ brummt er unwillig auf unsere Frage.

Hinter Halle 15 führen die berühmten „Buttari“ ihre Künste vor, Italo-Cowboys, die einst die riesigen Herden der Landbarone hüteten, mittlerweile aber keinerlei Funktion mehr haben außer der, sich als besonders wilde Reiter zu fühlen. Ein halbes Dutzend Kühe und Bullen - alle kaum mehr als einen Meter zwanzig groß, es soll ja nur so ausschauen, als sei es gefährlich - sind dafür angekarrt worden und müssen sich in regelmäßigen Abständen wieder per Lasso einfangen lassen. Da sie das Spiel schon hundertemale mitgemacht haben, plazieren sich die intelligenteren von ihnen schon nahe am Ausgang, durch den sie dann sowieso gleich gezerrt werden. In der Mitte der Arena, wo man eigens einen Pfosten in Telegrafenmastengröße aufgebaut hat, führt ein Buttaro ein Pferd an der Longe - besser: am Strick vor: er geht dreimal mit, während das Pferd um den Pfosten herumläuft, dann wechselt er den Strick in die andere Hand, wodurch sich das Seil am Pfosten aufwickelt und der Pferdekopf hart herumgerissen wird: das Tier wechselt darauf, gezwungenermaßen, die Hand: eine herrliche Nummer, viel Beifall.

So ist der von Stunde zu Stunde mehr durch die herumhüpfenden Rodeo-Jünger und vom Pferdeleid gequälte Besucher am Ende regelrecht dankbar, als er sich plötzlich vor einem Bild ungeahnter Friedlichkeit findet: da reitet, gemütlich wie weiland Sancho Pansa, ein freundlich dreinblickender pausbackiger Bauerntyp mit seinen Kindern auf einer Eselsfamilie vorbei. Es sind wahrscheinlich die einzigen Tiere, die diese Schau des Unverstandes ohne allzugroßen Streß erleben können.