Kaltes Buffet

■ Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau & ihr Liebhaber“

Kläffende, knurrende, japsende Straßenköter jagen durchs Bild: Ein Mann, halb steht er vor der Kühlerhaube seines Wagens, halb liegt er schon darauf, andere halten ihn fest, und einer, weil er der Chef ist, darf ihn quälen. Die Kleider reißt er dem Wehrlosen vom Leib, schlägt ihn zusammen, beschmiert ihn, ganz langsam und genüßlich, mit Hundescheiße, so, und hier noch in die Nasenlöcher. Eine Predigt hält er seinem Gefangenen, berauscht sich an seiner Macht, je mehr sein Opfer in sich zusammensinkt, desto mehr plustert sich der Schinder auf, kostet die Gewalt über das Häufchen Elend minutiös aus, wirft es zu Boden und pißt es an: Die letzte Geste der Herrschaft ist vollzogen, die Demütigung komplett. Und dann zieht die Kamera auf, fließende Musik ertönt, buntes Licht flutet, und von der Leinwand zwinkert es zu uns herab: Alles Spiel, alles nur Theater.

Peter Greeaway hat sich an opulenten Bildern überfressen und kann sie nicht verdauen. Also spuckt er sie, hübsch häppchenweise, wieder aus zur Freude aller visuellen Gourmets bzw. Gourmands bzw. das ist dasselbe. Das Auge happ! - ißt mit, Film wird zur kulinarschen Leckerei, und die Wucht wie die Wahrhaftigkeit der Bilder wird geopfert auf dem Altar kompositorischer Gesamtästhetik: Schön rund soll es sein. Der Koch, der Dieb, seine Frau & ihr Liebhaber zeigt Archetypen: Albert, der Dieb, scheint mittelalterlichen Schauerstücken entsprungen: Ein Brutalemann auf der zivilisatorischen Stufe eines Mast- und Zuchtschweins, einer, der panisch alles plattmacht, was sich außerhalb seiner Kontrolle bewegt, nicht unter seinem Stiefel kuscht. Abend für Abend inszeniert er im Luxusrestaurant Le Hollandais die immergleiche Pflichtveranstaltung, eine freudlose Freßorgie, ein dumpfes Gelage.

Georgina, seine Frau, scheint sich mit der Brutalität ihres Gatten (kommt von begatten) abgefunden zu haben; ihr Widerstand ist gebrochen, erloschen hockt sie an der trostlosen Tafel und macht grämlich-bittere Miene zum bösen Spiel, in das Michael ihr Liebhaber, hineingerät: Ein kultivierter, dezenter, schüchterner Büchermensch, sehr steif und bebrillt, mit einem Wort: süüüüß.

Zunächst auf der Damentoilette, später in diversen Vorratskammern des Restaurants, dürfen Georgina und Michael die Wonnen und Tröstungen des Fleisches erleben, und der wechselseitige Zugriff auf die Geschlechtsorgane, gern auchLiebe genannt, vollzieht sich volles Rohr (üppig bzw. deftig nennt man dergleichen wohl) und vor allem heimlich.

Richard, der Koch, schützt die Liebenden. Ironisch -distanziert betrachtet er das Geschehen, steht den Opfern des Diebes zur Seite, ohne diesen allerdings direkt zu brüskieren; eine Art kritischer Opportunist, dem offenkundig die Sympathien des Regisseurs gehören.

Ob Brutalität und Elend, Fäulnis oder Verwesung, bei Greenaway ist alles nett anzusehen, ein dekoratives Fresko pittoresko. Abgeklärtheit und Ironie schieben sich noch zwischen die drastischsten Bilder und machen sie, indem sie die quasi lächelnd zurücknehmen, zunichte. Peter Greenaway kann eine Theaterbühne gestalten, ihm stehen die fähigsten Bühnenschauspieler zur Verfügung, allein der Melodie ihrer wohltönenden Stimmen - wenigstens im Original - zu lauschen, ist ein Genuß. Ausleuchtung, Musik und Kostüme (von Gaultier) sind mächtig prächtig, geschmeidig wird dialogisiert: „You have beautiful eyes.“ - „And you habe a beautiful prick.“ Fressen und gefressen werden, kopulieren und krepieren. Mein ist die Rache spricht die Frau; die großen Phrasen der Menschheit, armverschränkt, mit kleinen Fältchen um die Augen dargeboten und betrachtet von einem netten Herrn mittleren Alters, der nichts will als dem Lauf der Welt zugucken und weder Lust noch Kraft hat, sich einzumischen und Stellung zu beziehen: Ach ja, der Mensch, seht (ihn) Euch doch an...

Fein gedrechselt ist das Opus Pokus, sehr effektvoll auch, aber eine Frage will und will nicht weichen: Wenn Peter Greenaway schon immer so schöne Filme drehen muß - muß es dann auch noch immer derselbe sein?

Wiglaf Droste

Peter Greenaway: Der Koch, der Dieb, seine Frau & ihr Liebhaber, mit Richard Bohringer, Michael Gambon, Helen Mirren und Alan Howard, Musik: Michael Nyman, Großbritannien 1989, 120 Min.