Menschen am Tisch

■ Peter Greenaway gibt Auskunft über seinen neuen Film

Wie immer gibt es drei oder vier Ideen, die mehrere Jahr im Unterbewußtsein rumoren und zufällig kommen sie dann in einer bestimmten Form zusammen. Die Idee für diesen Film hängt zusammen mit meinem zugegebenermaßen akademischen Enthusiasmus für das Genre, das ich Table Painting nenne. Seit 2000 Jahren gibt es eine Faszination der Maler für Menschen, die um einen Tisch sitzen. Das berühmteste Beispiel ist da Vincis Abendmahl. Dann gibt es noch eine andere Gruppe von Gemälden, die aus Belgien und Holland kommen, so zwischen 1610 und 1680, die bourgeoiser Herkunft sind. Die repräsentieren Geld, Wohlstand, Wohlbefinden, Macht und Ruhm.

Schließlich ist da noch ein Maler wie Tiepolo Veronese aus dem 16.Jahrhundert, der Zeit der Gegenreformation, der außerordentlich opulente Bankette malte, mit Hunderten von Teilnehmern, mit Affen und herrlichem Silber. Diese Gemälde haben oft eine religiöse Basis, sind aber im Grunde sehr weltlich. Das geht wieter bis in die moderne Kunst, Beispiel: van Goghs Kartoffelesser.

All diese Gemälde wurden aus verschiedenen Gründen und zu verschiedenen Zwecken gemalt, aber sie haben das gleiche Problem zu lösen, nämlich: Wie bringe ich alle Beteiligten ins Bild? Jeder muß klar sichtbar sein, es muß jedesmal als Porträt erkennbar sein, man muß verstehen, wer sie sind, auch die Bekleidung muß man erkennen, und sie müssen um einen Tisch herum sitzen. Über dieses Problem wollte ich einen Essay schreiben, vielleicht einen Dokumentarfilm machen oder auch ein Buch schreiben. Hier hatte ich die Gelegenheit, es in einem Spielfilm zu verarbeiten. Der ganze Film zeigt Menschen am Tisch: im Restaurant, wo es um Selbstdarstellung geht, oder in der Küche.

Das ist die eher abstruse akademische Herangehensweise. Bei den Dreharbeiten von Der Bauch des Architekten begann ich mich außerdem für große heorische männliche Figuren nach Shakespeares Art zu interessieren. Ich wollte eine Figur erschaffen, die ausgesprochen bösartig ist, ein gieriges, sexistisches, rassistisches Schwein, eine widerliche Person, so wie Richard III. bei Shakespeare, nur sollte es eine Figur aus unserer Zeit sein.

Zweitens wollte ich einen Kommentar abgeben - der allerdings nicht sehr originell ist - zu Konsum, Essen, Essen, Essen. Es geht um den Weg vom Mund zum Anus, wir essen doch die ganze Zeit unsere eigene Scheiße. Es gibt einen bekannten Spruch, daß das Londoner Wasser fünfmal im Jahr durch die Königin durchgeht. Es ist ein ständiges Recycling von Speisen, Abfall, Speisen, Abfall. Besonders interessant wird das Ganze im Thatcher-England, wo die Leute dieses übergroße Eigeninteresse haben, Habgier und nochmals Habgier.

In den letzten Jahren ist dieses Interesse an der Cuisine entstanden, aber dabei geht es auch um das Soziale. So versucht die Hauptfigur, der Dieb, sich soziale Anerkennung zu verschaffen, indem er lernt, wie man richtig ißt. Er ist besessen von der Frage, wie man sich bei Tisch richtig benimmt, z.B. wann man welches Messer nimmt. Dann will er alles über die französische Küche wissen. Natürlich ist er völlig ignorant und vulgär und macht daraus eine große Schweinerei.

Der Koch bin ich, er steht etwas am Rande, aber wenn es nötig ist, schafft er einen Raum für die Handlung. In Der Bauch des Architekten war ich der Fotograf, der sich raushält und beobachtete. Ohne allzu autobiographisch zu werden, zeige ich hier meine eigene Lieblingsrolle. Das zentrale Interesse des Kochs ist die Perfektion der Speisen, und wenn er den Eindruck hat, sie seien nicht gut genug, wird er sie eher wegschmeißen als sie seinen Gästen vorzusetzen.

Der Liebhaber hat auch ein Zentrum in seinem Leben, er ist Perfektionist in Bezug auf Bücher. Und dann ist dort Albert, der Dieb, der überhaupt nicht das Interesse des Perfektionisten hat, der den Preis von allem kennt, aber von nichts den Wert. Alles was er hat, ist Geld. Die Frau bewegt sich zwischen den dreien, wobei sie die Werte überprüft, um den richtigen für sich zu finden.

In Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber gibt es keine Zahlenstruktur, obwohl der Film zehn Tage umspannt, es hat auch nichts zu tun mit dem Alphabet, obwohl die Speisen in alphabetischer Reihenfolge erscheinen, aber es gibt eine andere Struktur, und das ist die Farbe. Die sieben Farben des Regenbogens bestimmen die Ausstattung: blauer Parkplatz, eine grüne Küche, ein rotes Restaurant etc.

Der Grund für die Struktur durch Zahlen, Alphabete oder Farben? Sie sollen für eine rigorose intellektuelle Disziplin sorgen. Ich erkläre das mal mit einer Analogie. Jemand fragte Picasso: Warum malen Sie den Himmel rot? Und er antwortete, weil mit die blaue Frabe ausgegangen ist. Eine witzige Bemerkung, aber seit der Erfindung des Kubismus ist die Wahl der Farbe eine willkürliche Entscheidung.

Das gleiche gilt für die Erzählung. Als Autor kann ich jede beliebige Personenkonstellation verwenden, ich kann den Helden sterben lassen oder auch nicht. Alles an einer Erzählung ist willkürlich. Ich kann machen, was ich will. Deshalb suche ich immer eine Disziplin, die nicht willkürlich ist, und die finde ich in universellen Strukturen wie den Zahlensystemen oder dem Alphabet.

Die aufregendsten Teile des Filmemachens sind für mich die Entwicklung der Idee, das Skriptschreiben und nachher das Editing. Die Dreharbeiten befriedigen mich am wenigsten, weil ich sie mit so vielen Leuten teilen muß. Das kann auf einer sozialen Ebene ganz lustig sein. Ich beneide den Schriftsteller um seine Beziehung zu seinem Papier oder den Maler um die seine zur Leinwand. Filmemachen ist soviel konservativer als Malen oder Schreiben. Ich finde, man sollte immer versuchen, etwas Neues zu machen. Das Potential von Film ist fantastisch und aufregend, es ist ein extrem reiches Organisationssystem von Bild und Klang. Aber die meisten Filme sehen so aus, als hätten die Regisseure ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden und als schauten sie nur mit einem Auge in die Welt. Sie brauchen das Medium nur, um eine Geschichte zu erzählen, sonst nichts. Es ist soviel mehr als das: Film ist die Kunstform des 20.Jahrhunderts. Ironischerweise liegt das Kino schon im Sterben, obwohl es erst 80 Jahre alt ist. Die Leute gehen nicht mehr ins Kino.

Kino muß nicht Masturbation sein, es soll nicht die Emotionen massieren. Es gibt so viele andere Arten, das Publikum zu fesseln; aus Romanen, der Malerei und dem Theater gibt es für das Kino noch viel zu lernen: Der Koch... benutzt die Künstlichkeit der Oper, die Musik choreographiert die körperlichen Bewegungen der Schauspieler auf eine sehr formalisierte, stilisierte Art. Der Film beginnt mit dem Theatervorhang und schließt mit ihm, um zu zeigen, wie künstlich das Drama ist.

Gewalt im Kino wird sehr oft romantisiert und sentimentalisiert: Mickey Mouse gibt Donald Duck einen Schlag auf den Kopf, Donald steht auf und geht weiter. Wir wissen alle, daß es so nicht stimmt, er hätte einen Gehirnschaden bis ans Ende seines Lebens, zumindest würde er mindestens zwei Wochen im Krankenhaus liegen. Die Gewalt im Kino hat die Funktion, für billige Erregung zu sorgen. In meinem Film hat sie ihre Wurzeln im jakobinischen Drama, in dem Gewalt starken und ernsten katharsischen Zwecken dient. Ich verstehe meinen Film als eine Fortführung der Traditionen von Artauds „Theater der Grausamkeit“, von Bataille, vielleicht Peter Brook und sogar Bunuel.

Greenaways Auskünfte sind zusammengetragen aus zwei Interviews, die Gunter Göckenjan in London und Venedig mit dem Regisseur führte.