„Mittelamerika nicht ernst genommen“

Robert White war unter Jimmy Carter US-Botschafter in El Salvador (1979-1981)  ■ I N T E R V I E W

taz: Was war der Grund für die FMLN-Offensive?

White: Hauptgrund war die Überzeugung, daß das salvadorianische Militär und die Arena-Partei niemals Verhandlungen erlauben würden. Die FMLN hat eine ganze Reihe von ernsthaften und wohldurchdachten Friedensvorschlägen gemacht. Die Reaktion der Arena-Partei daraufhin war aber gleich Null. Und auch die Bush-Administration, so muß ich leider sagen, hat kein Interesse gezeigt.

Wird Cristiani an den Verhandlungstisch gezwungen?

Wenn die FMLN wirklich gedacht hat, daß die Zurschaustellung ihrer Stärke die salvadorianische Armee an den Verhandlungstisch bringen werde, dann hat sie sich verrechnet. Für das Militär ist diese Offensive der Rebellen ein Geschenk, eine Gelegenheit, nicht nur die Aufständischen, sondern auch Priester, Gewerkschafts-, Bauernführer und die Führer aus den Armenvierteln zu beseitigen.

Wenn aber die Rechnung der FMLN darin bestand, El Salvador weiter zu polarisieren, weitere Repression durch Militär und Rechte zu provozieren, wird dies denn keine Auswirkungen auf den US-Kongreß haben, daß mehr Abgeordnete die US -Unterstützung für die salvadorianische Führung in Frage stellen werden?

Ich glaube, daß die Offensive selbst einen negativen Effekt auf Capitol Hill machte. Ausschlaggebend waren die Morde an den jesuitischen Priestern, die in Washington zu einem Meinungswandel führen könnten. Hier entsteht jetzt der Eindruck, daß Präsident Cristiani die Kontrolle verloren hat, daß er nur eine Vorzeigefigur ist, hinter der die Todesschwadronen weiter operieren; was meiner Ansicht nach leider eine korrekte Einschätzung geworden ist.

Wenn die gegenwärtigen Ereignisse eines zeigen, dann, daß es auch nach rund vier Milliarden Dollar US-Hilfe in der letzten Dekade für die USA keine einfache Loslösung aus ihrer Verwicklung in El Salvador gibt. Was sollte die Bush -Administration tun?

Hätte sie Mittelamerika ernst genommen, dann hätte sie sich in der Vergangenheit viel stärker und effektiver für eine Verhandlungslösung eingesetzt. Leider haben die Bush-Leute diese Verhandlungsvorschläge nicht unterstützt, sondern die alte Reagan-Politik des militärischen Sieges weiterverfolgt. Mit dem Resultat, daß die Cristiani-Regierung alle konstruktiven Friedensvorschläge einfach ablehnt; und daß die Revolutionäre alle Hoffnung auf Verhandlungen ohne militärischen Druck aufgegeben haben.

Warum genießt die Mittelamerikapolitik von Bush im Kongreß solch parteiübergreifende Unterstützung, und gibt es so wenig kritische Stimmen?

Sie müssen sehen, daß Ex-Präsident Duarte auf Capitol Hill ein äußerst effektiver Lobbyist für seine Regierung war. Und Cristiani hat sich hier als ebenso brillanter Repräsentant seiner Regierung vorgestellt. Erst jetzt, nach der Ermordung der Priester, wird Cristianis Kontrolle über seine Regierung und die Armee angezweifelt, was zu einer veränderten Einschätzung des Kongresses führen könnte.

Wenn Präsident Cristiani im Januar die politische Kontrolle immer noch nicht wiedererlangt haben sollte, wird es dann einen Stopp der US-Hilfe geben?

Es gibt die Möglichkeit, daß die US-Hilfe noch vor Januar gekürzt und an Bedingungen beknüpft wird.

Das Gespräch führte Rolf Paasch.