Ceausescu zieht die nationalistische Karte

■ Parteitag in Bukarest / SED nur durch Beobachter auf dem 14. Kongreß der RKP vertreten / Warnung von der UdSSR / Der Conducator fordert die Revision des Hitler-Stalin-Paktes

Berlin/Bukarest (taz/afp) - Er ließ sich wieder bejubeln, der große Conducator (Führer), Nicolae Ceausescu, der „Held unter den Helden“, der geniale Vordenker der vielseitig entwickelten Misere in einem Land mit 23 Millionen Einwohnern, die er seit Jahren mit Hilfe seines allmächtigen Staatssicherheitsdienstes (Securitate) zu Hunger, Kälte und Dunkelheit verurteilt hat, und dies um den Preis einer „glücklichen Zukunft“, wie er es in seinem Rechenschaftsbericht am Montag vor den 3.308 Kongreßdelegierten im „Palast der Nation“ formulierte. Derweil patrouillieren auf den Straßen bewaffnete Milizleute und die auffälligen Securitatebeamten in Zivil. Von Souveränität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung predigte der Diktator fast sechs Stunden lang. Davon werden die Rumänen nicht satt, und auf derartige billige Taschenspielertricks fällt schon längst keiner mehr herein. Selbst wenn Ceausescu, wie gestern geschehen, noch seine letzten abgewetzten nationalistischen Karten hervorzieht und den demoralisierten Untertanen den Hitler-Stalin-Pakt als historische Ungerechtigkeit präsentiert, infolge dessen Rumänien seine östliche Provinz, Bessarabien, an die Sowjets abtreten mußte, hat er verspielt. Die Sowjet-„Moldauer“ proben nun selbst Glasnost und verweigern dem Conducator hartnäckig ihre nationale Reverenz. Solange Ceausescu lebt, ließen die Sprecher der moldaurumänischen Volksfront verlauten, stehe ein eventueller „Anschluß“ an die jetzige Karpatenmonarchie nicht zur Debatte.

Fast ganz vereinsamt in der Arena - selbst die ehemaligen treuen SED-Genossen schickten nur einen „Beobachter“ nach Bukarest - strampelt Ceausescu. Die Grußbotschaft, die von der sowjetischen KP an den rumänischen Parteitag gerichtet wurde, enthält nach Ansicht von Beobachtern gar eine klare Warnung. „Wir wünschen einen Meinungsaustausch zwischen unseren beiden Parteien, und wir müssen gemeinsam nach Möglichkeiten für einen humanistischen Sozialismus suchen“, lautete die deutliche Anspielung auf die Notwendigkeit von Reformen in Rumänien.

Nur China steht weiter zum rumänischen Diktator. Der chinesische Sicherheitsdienstchef saß als Ehrengast des Kongresses in unmittelbarer Nähe Ceausescus. Schon immer fand der Conducator die chinesischen Genossen nachahmenswert, die nordkoreanischen sogar überwältigend. Peking ist jedoch weit, Budapest, Moskau, Warschau, Ost -Berlin und Sofia dagegen bedrohlich nahe. Die Parteitagsdelegierten griffen den Reformkurs in anderen sozialistischen Ländern scharf an. Die Redner sprachen sich Dienstag und Mittwoch einheitlich „gegen antikommunistische Theorien aus, die die Legitimität des Sozialismus in Frage stellen“. Es wurde mehrmals die Entschlossenheit betont, „mit Nachdruck gegen jene Tendenzen vorzugehen, die in manchen Ländern unter dem Druck bürgerlicher Ideologien den Sozialismus liquidieren wollen“. Besonders deutlich wurden die Vertreter von Cluj (Klausenburg) und anderen Städten Siebenbürgens, die scharf die „antisozialistischen, antirumänischen, nationalistischen und irredentische Äußerungen“ in Ungarn kritisierten. In Siebenbürgen lebt der Großteil der von Zwangsassimilierung bedrohten ungarischen Minderheit in Rumänien.

W. Totok