„Polizeiführung verarscht Öffentlichkeit“

Der Innenausschuß in Hannover beschäftigte sich mit dem gewaltsamen Tod der 24jährigen Studentin Cornelia W. / Entgegen der Polizeidarstellung werden die Augenzeugenberichte weitgehend bestätigt  ■  Von Reimar Paul

Göttingen (taz) - Die niedersächsische Landesregierung hat Dienstag nachmittag den Innenausschuß des Landtages über den Göttinger Polizeieinsatz vom Freitag informiert, bei dem die 24jährige Studentin Cornelia W. ums Leben kam. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, der die Unterrichtung beantragt hatte, wertete die Regierungsauskünfte als „fast durchgehende Bestätigung“ der Augenzeugenberichte. Es sei offensichtlich, daß „die sich täglich ändernden Darstellungen des Vorfalles durch die Göttinger Polizei nichts anderes als eine rechtfertigende Verarschung der Öffentlichkeit darstellen“.

Innenstaatssekretär Diekwisch (FDP), so wurde aus dem Ausschuß berichtet, habe bestätigt, daß sich die am Einsatz beteiligten Beamten über Funk auf ihr Vorgehen gegen die Gruppe von etwa 25 Autonomen verständigt hätten. Der Funkspruch - in der von Diekwisch verlesenen Fassung „Ich würde sagen, wenn wir genug Leute sind, sollten wir die plattmachen“ - sei unmittelbar vor dem Einsatz aus dem Wagen des Leiters des Zivilstreifenkommandos (ZSK) an den „Dienstabteilungsführer des ersten Reviers“, den Einsatzleiter also, übermittelt worden.

Bestätigt sei jetzt auch, so ein Ausschußmitglied zur taz, daß die verfolgten AntifaschistInnen von der Polizei gezielt eingekesselt wurden. Diese Darstellung hatte die Göttinger Polizeiführung zuvor bestritten. Der Inspekteur der Schutzpolizei, Schulze, habe in seiner Ablaufschilderung jedoch gesagt, daß insgesamt sechs Einsatzfahrzeuge der Gruppe den Weg nach hinten und vorne versperrt und die Beamten somit die „Chance zum Zugriff“ gesehen hätten. Für Jürgen Trittin steht die „Kausalität des polizeilichen Vorgehens und des Zusammenstoßes damit außer Zweifel“.

Nach Auskunft eines Abgeordneten hat die Landesregierung „weder Beweise noch Indizien“ für die Behauptung des Göttinger Polizeichefs Will vorlegen können, wonach es sich bei den 25 Autonomen um dieselben gehandelt habe, die zuvor an einer Schlägerei mit Skinheads beteiligt waren. Mit dieser „Gleichsetzung“, der die Betroffenen stets widersprochen hatten, war die Notwendigkeit des Polizeieinsatzes begründet worden. Auch die offizielle Polizeiversion, daß Tränengas weder vor noch nach dem Tod von Cornelia W. eingesetzt worden sei, ist in der Ausschußsitzung erschüttert worden. Einem Ausschußmitglied zufolge hat der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Mahn, auf Nachfrage eingeräumt: Es sei möglich, „daß ein oder zwei Beamte zum Schutz des Autofahrers“ Reizgas eingesetzt hätten. Gegenüber der taz kündigte Jürgen Trittin an, daß so rasch wie möglich eine Große Anfrage ins Parlament eingebracht werden soll. Gegen den Einsatzleiter der Polizei hat die Staatsanwaltschaft in Göttingen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.