Kunstlicht: Erotisches - Therapeutisches - Lettisches - Kunsthandwerkliches

■ Ausstellungen in der Galeerie Rolf Ohse, in der Galerie des Westens, im Rotkäppchen, im Atelierhof

Erotisches - Therapeutisches - Lettisches

Kunsthandwerkliches

Ausstellungen in der Galeerie Rolf Ohse, in der Galeri des Westens, im Rotkäppchen, im Atelierhof

„Doch eine Brust angreifen ist halt süßer / Als alle Achtung nachgeborener Welt.“ Dergestalt entlarvt sich ein Herr Brecht in einem Liebesgedicht. Herr Brecht hatte einen Freund, Gustav Seitz, Bildhauer, und der hatte auch erotische Phantasien. Insgeheim. Herr Seitz ist tot. Und nun auch Frau Seitz. Und jetzt darf der Galerist Rolf Ohse das erotische Gesamtwerk des Herrn Seitz ausstellen und mit den erotischen Texten des Herrn Brecht kombinieren, ohne daß der Witwe Leid angetan wird, etwa wenn es um die Frage nach dem Modell geht. Das ist taktvoll. Gezeigt werden neben großen „Stelen und Idolen“, langen Dünnen mit ungeheuren sekundären Geschlechtsmerkmalen, eine große Zahl winziger Zeichnungen auf Bütten, die mit zärtlichem Strich sog. sexuellen Perversionen nachgehen auf Lümmel komm raus. Weil alle Zeichnungen bereits verkauft sind, wird dieser Aspekt des Seitzschen Oeuvres wohl zum ersten und letzten Mal gezeigt werden. (Contrescarpe 36, bis zum 23.12.)

„Diskussionsrunde“: Rote Gestalten umstehen einen Kopfsteher, blicken zwischen seinen gespreizten Beinen durch in seinen Unterleib, um sie herum nichts als Gitter, irgendwo schwimmt ein Spermium, auf dem Boden schnappt ein Fisch. Im Hintergrund kämpft Schwarz mit Rot. Die Bildsprache Hermann Bökes ist wild-naiv voller heftiger Wallungen mit viel Rot-Schwarz, andererseit verschlüsselt sie ihre Anliegen aufs Symbolischste, indem sie von Sehnen und Samen, Fischen und Phallen, Messern und Knüppeln wimmelt. Inventar des Therapeutensprechzimmers. Der nicht lehrende Lehrer und „Freie“ bei Radio Bremen hat seit einiger Zeit sein Atelier bei der GedeWe, dort stellt er jetzt auch aus. Seine neuen Bilder sind figurbetont und voller Sentiment, das Format groß, das Material Acryl auf Leinwand. (Reuterstraße 9-17, bis zum 14.12.)

Nicht direkt lettische Avantgarde: das Rotkäppchen präsentiert dem Edelhunger einen Künstler aus Riga, der zum ersten Mal in der BRD ausstellt: Ricards Strauhs, eine Zufallsbekanntschaft des Chefs. Knallbunte Bilder sind das aus unvermischten Ölfarben, direkt aus der Tube auf den Malgrund gepreßt. Bilder aus lauter Würsten also, die immer mehr austrocknen und abbröckeln. Ein Materialproblem. In dicken Holzrahmen von rose und flieder geht es schlicht und ergreifend um „Nacht“, „Ziel“, „Drachen“, und Form wie Ausführung sind mindestens gewöhnungsbedürftig, wenn nicht schlicht dekorativ, was auf den gelernten Designer verweist (Rigaer Hochschule für angewandte Kunst).

Das „Bauhaus“ konnte die Grundproblematik des Kunsthandwerks auch nicht aus der Welt schaffen: hie Ambition, dort Grundsolides, hie Ästhetik, dort Bienenfleiß, hie der Kunstmarkt, dort der Handwerkermarkt. Der Atelierhof will die Schere etwas schließen helfen, dort arbeiten auch eine Töpferin und eine Strickdesignerin. Regina Jensen und Cordula Bünger stellen dort derzeit aus und führen vor, wie sich auf hohem handwerklichem Niveau ästhetische Möglichkeiten finden, die den Abstand zur „hohen“ Kunst abstrus erscheinen lassen. Und doch bleibt die Frage: Kann, was man gebrauchen kann, Kunst sein? (Alexanderstr.9b, bis zum 3.12.) Burkhard Straßman