Dubcek kam und schwieg

■ Wieder 200.000 auf dem Wenzelsplatz / Dubcek stand zwar auf der Rednerliste, sprach aber nicht / Für heute ZK-Sitzung einberufen

Prag (afp/taz) - Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom möglichen Auftritt Alexander Dubceks in Prag. Zehntausende zogen schon am Donnerstag nachmittag zum Wenzelsplatz, als sie davon hörten, der Parteichef von 1968 werde auf der abendlichen Versammlung sprechen. Schon am Vortag war auf der allabendlichen Massenversammlung eine Botschaft Dubceks verlesen worden, in der er den Rücktritt aller derzeitigen Parteiführer forderte, die für die Niederschlagung der Reformbewegung von 1968 mitverantwortlich waren. Auf der Versammlung selbst redete Dubcek dann aber nicht, obwohl er auf der Rednerliste an elfter Stelle gestanden hatte.

Einheiten der Parteimiliz besetzten unterdessen das Gebäude des Fernsehens. Polizeibeamte in Zivil forderten die Leitung auf, nicht über die Kundgebung zu berichten. Techniker des Fernsehens legten aus Protest gegen die Unterdrückung der Fernsehübertragung ihre Arbeit nieder.

In den Stunden vor der neuen Demonstration tagte in Prag das Präsidium der Kommunistischen Partei, um über personelle Änderungen in der Führung zu beraten. Ergebnisse wurden noch nicht bekannt. Doch scheint sich der Druck auf die Parteiführung zu verstärken, auf der für heute einberufenen außerordentlichen Sitzung des Zentralkomitees den Weg für eine neue Politik freizumachen. Junge KP-Mitglieder in der Prager Polizei forderten einen Sonderparteitag und personelle Veränderungen im Politbüro. Die Prager Gliederung des offiziellen Jugendverbandes verlangte eine sofortige Parlamentssitzung, die im Fernsehen übertragen werden müsse, und ein Gesetz über die Versammlungsfreiheit. Das Parteiorgan 'Rude Pravo‘ räumte am Donnerstag ein, die CSSR befände sich in starker politischer Gärung. Die Ereignisse der letzten Wochen in den Nachbarländern seien nicht spurlos an der öffentlichen Meinung vorbeigegangen.

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