Religiöse Zeitschriften: Publik-Forum/Evangelische Kommentare/Radius/Tauwetter/Unterwegs

Wie muß die Psyche eines Menschen beschaffen sein, der sich für den Beruf eines katholischen Priesters entscheidet, der also Zölibat und Kirchenhierarchie freiwillig auf sich nimmt? Allein diese Frage zu stellen, erfordert für Katholiken Mut. Wie muß dann erst die Psyche eines katholischen Priesters beschaffen sein, der diese Frage in aller Öffentlichkeit beantwortet? „Kleriker - Psychogramm eines Ideals“ heißt Eugen Drewermanns neuestes Werk. Auf 900 Seiten analysiert der Paderborner Theologe, Universitätsdozent und Psychotherapeut die Pathologie der Klerikerseelen und damit natürlich auch die der gesamten katholischen Kirche. Mut allein genügt nicht zu einer solchen Veröffentlichung; mindestens ein Schuß Masochismus muß auch dabei sein. Denn es ist abzusehen, wie der katholische Klerus reagieren wird. Schon jetzt überlegt die vatikanische Glaubenskongregation unter Führung Kardinal Ratzingers, aus welchen Gründen sie Drewermann die Lehrerlaubnis entziehen kann. „Ist der Schoß der Jungfrau Maria nur ein Symbol?“ fragte schriftlich der Bischof an. Und ausgerechnet Heribert Mühlen, Leitfigur der konservativen katholischen Charismatiker, wurde zum Verhörer des aufmüpfigen Priesters bestimmt.

Die Auseinandersetzung um Drewermanns Theologie findet schon seit einigen Jahren statt. Da der Konflikt jetzt zu eskalieren droht, bringt Publik-Forum ein achtseitiges Interview mit Drewermann, in dem er die Kernpunkte des Streits und den Ansatz seiner Theologie beschreibt. Hauptsächlich geht es hierbei um das Verhältnis von Tiefenpsychologie und Bibelexegese (deren Zusammenhang Drewermann immer wieder betont) und um das religionswissenschaftliche Verständnis biblischer Mythen wie etwa Jungfrauengeburt und Auferstehung Jesu.

Eins steht fest: Würde die Inquisitionsbehörde des Vatikans dem gerade von der katholischen Basis getragenen Drewermann mit einem Schweigegebot a la Boff belegen, hätte das einen ungekannten Skandal zur Folge, wenn nicht sogar den Austritt Drewermanns und vieler seiner Anhänger aus der Amtskirche.

Noch ein zweites Lehrstück katholischer Amtsarroganz bringt Publik-Forum: Den Briefwechsel zwischen 34 bayerischen CSU -Landtagsabgeordneten und Glaubenswächter Ratzinger. Aufgebracht hatte die CSUler, allesamt „Mütter und Väter“ teils von sechs und sieben (!) Kindern, eine Äußerung des Leiters des päpstlichen Instituts für Studien über Ehe und Familie. Originalton des Monsignore Carlo Caffara: „Wer Verhütungsmittel benutzt, will nicht, daß neues Leben entsteht, weil er ein solches Leben als Übel betrachtet. Das ist dieselbe Einstellung wie die eines Mörders, der es als 'Übel‘ ansieht, daß sein Opfer existiert.“

Verhütung Mord also? Das war selbst den ansonsten kirchenloyalen Christlich-Sozialen zuviel. Per Brief beklagten sie sich beim Papst über die „extrem lieblose und gegen den Geist Christi verstoßende“ Argumentation seines Untergebenen - und baten „Seine Heiligkeit“, sich von dieser Äußerung öffentlich zu distanzieren. „Wir fragen uns, wie wir katholischen Eheleute angesichts derartiger Entgleisungen noch Liebe für unsere Kirche, zu der wir uns bekennen und an der wir hängen, empfinden sollen“, so die Bayern.

Papst-Intimus Ratzinger stellt in seinem Antwortbrief die Gegenfrage: Könnte der Papst denn seine Kirche überhaupt noch lieben, wenn er die vielen „wahrhaft haarsträubenden Sätze deutscher Katholiken - Professoren und anderer - zur Kenntnis nehmen muß?“ Ohne auch nur in einem Nebensatz auf die inhaltliche Problematik „Verhütung ist Mord“ einzugehen, unterstellt Ratzinger den CSUlern, sich mit ihrem Brief in die Front der Unterzeichner der papstkritischen „Kölner Erklärung“ einzureihen. Außerdem sollten sie dem Monsignore Caffara gefälligst Toleranz entgegenbringen, denn der müsse zur Zeit sowieso schon „eine Welle des Psychoterrors“ über sich ergehen lassen.

Fünf weitere Briefe zwischen München und Rom folgen. Sie ergeben ein erschütterndes Bild, wie der katholische Machtapparat mit mündigen Christen umgeht. Doch immerhin gibt's auch einen Lerneffekt: Die enttäuschten CSUler bekunden am Ende ihre Sympathie mit den 163 „linken“ Theologen der „Kölner Erklärung“. Evangelische Kommentare

Vor kurzem präsentierte ein süddeutscher „Forscher“ stolz einen Gesteinsbrocken, der die Entstehung der Welt in einem Augenblick erkläre - und so die Historizität des biblischen Schöpfungsberichts beweise. Selbst die evangelische Landeskirche ist sich nicht zu schade, derartige dubiose „Forschungen“ finanziell zu unterstützen. Kreationisten nennen sich solche glaubenssichere „Wissenschaftler“, die dem Lager der politisch konservativen bis reaktionären Evangelikalen angehören.

Die eigentliche Problematik geht über diese realsatirischen Forschungsergebnisse hinaus; sie sind nur ein Symptom des weltweit stärker werdenden Phänomens Fundamentalismus. Der fundamentalistische „Aufstand gegen die Moderne“ (Thomas Meyer) formierte sich Anfang des Jahrhunderts im nordamerikanischen Christentum. Damals - wie heute - schoß man hauptsächlich gegen die Evolutionslehre und gegen die kritische Bibelwissenschaft, die auch die Schriften der Bibel „nur“ als literarisches Dokument damaliger gläubiger Menschen verstanden. Dem setz(t)en die Fundamentalisten entgegen: Die Irrtumslosigkeit der Bibel als wortwörtlich zu glaubendes Wort Gottes. Friß, Vogel, oder stirb.

Die zunehmende Dreistigkeit und Naivität bundesdeutscher Evangelikaler ist tatsächlich phänomenal. Was treibt beispielsweise einen Professor der Mathematik, Direktor einer physikalisch-technischen Bundesanstalt, zu der Behauptung, die Evolutionslehre an den Schulen stelle „einen millionenfachen Seelenmord an jungen Menschen dar“, dessen „Früchte die Zunahme der Kriminalstatistik, Ehescheidungen, Abtreibungen, Drogenprobleme... Auflehnung gegen die Eltern, Vorgesetzte und Staat“ seien? Derartige Anekdötchen blieben unbedeutend, könnten die hiesigen Evangelikalen nicht einen Machtzuwachs verzeichnen. Regelmäßige „Informationsgespräche“ der Führungsclique der Evangelikalen mit Bundeskanzler und Ministern zeugen davon. Und keine EKD -Synode kommt mehr um diesen Machtfaktor herum, der die Kirche „zurück zum reinen Glauben“ rufen will.

Gerhard Simpfendörfer beleuchtet in einem ausführlichen Artikel Wurzeln und Erscheinungsbilder des protestantischen Fundamentalismus. Seine abschließende Kritik: „Von dieser Form von Christentum geht eine glaubenszerstörende Wirkung aus. Nicht nur, weil sie viele aufrichtige, für den Glauben aufgeschlossene Menschen abstößt, ihn als 'Märchenerzählerei‘ erscheinen läßt, sondern weil hier dem Glauben ein falscher Inhalt gegeben wird: Als ob er darin bestehe, Sätze für historisch oder naturwissenschaftlich wahr zu halten - aus dem einzigen Grund, weil sie in der Bibel so stehen - entgegen aller sonstigen Erkenntnis, von der wir (auch Fundamentalisten) leben. Glaube hat hier viel zu tun mit Unterwerfung - Unterwerfung unter eine Autorität, die nicht weiter befragt werden darf und deshalb ein Tabu darstellt. Glaube aber heißt: Aus letztem Vertrauen auf Gott zu existieren. (...) Dieser Glaube wird tätig in der Liebe und es gilt im Blick auf das ganze Gebäude des Fundamentalismus das Wort, das Paulus im Blick auf die Gesetzeslehrer in Galatien abschließend gesprochen hat: 'In Christus Jesus gilt nichts als der Glaube, der durch die Liebe tätig wird.'“

Außerdem in den Evangelischen Kommentaren: Ein Interview mit der friedensbewegten feministischen Befreiungstheologin Dorothee Sölle. Kurz vor ihrem sechzigsten Geburtstag hält sie Rückschau auf ihre Entwicklung und beschreibt ihren heutigen theologischen Standpunkt. Den Übergang von der Orthodoxie - der Annahme bestimmter Meinungen über Gott hin zur Orthopraxie, also zum Glauben an „den lebendigen Gott im Handeln unserer Welt“ sieht sie als derzeitige Tendenz. Anders ausgedrückt: In der weltweiten Christenheit und Theologie vollzieht sich ein Paradigmawechsel von der Erlösung zur Befreiung. Das heißt einerseits Aufgabe eines bloß individualistischen Glaubensverständnisses („Der Herr, mein Erlöser“), andererseits die Verlegung der Erlösung vom Jenseits ins Diesseits, weil eben „das Leben schon vor dem Tode stattfindet“. Klar deshalb, daß Sölle gegen die Vorstellung „von dem großen Gott“, dem allmächtigen „Macker“ angeht. Statt dessen umschreibt sie Gott vorsichtig als „die Kraft des Lebens, als Ursprung und Ende dessen, was Leben bedeutet... Radius

„Gegen den Lärm der Welt hilft nur die Lust am Hören.“ Radius, die „Kulturzeitschrift zum Weiter-Denken“, hat sich fürs Winterheft ein zwar unaktuelles, aber tiefgehendes Schwerpunktthema ausgewählt. Vierzehn AutorInnen nähern sich dem Thema von ganz verschiedenen Seiten her. Albert Fischer erzählt als Gehörloser aus seinen Erfahrungen während der Kindheit und Jugend. Politikwissenschaftler Iring Fetscher wünscht sich „Zärtlichkeit des Zuhörens“. Peter Härtling verdeutlicht den Unterschied zwischen Hören und Horchen. Helmut Völkel, Medientheoretiker, beklagt den Mangel an „kultureller Grundversorgung“ durch die öffentlich -rechtlichen und privaten Radioanstalten. Und WDR-Redakteur Curt Hondrich begründet seine These, daß das (bewußte) Zu -Hören heute unbeliebter denn je ist. In einer Zeit der Bilderflut sei Hören eben unbequem, weil man sich die Bilder zu dem Gehörten selbst ausmalen müsse. Beim Fernsehen dagegen würden die Bilder zum Nulltarfif mitgeliefert. Während Hören mit Verstehen zu tun habe, sei Folge des Sehens das Untertanmachen und Begreifenwollen der Welt. Deshalb leben wir heute „in einer Kultur des Habens statt des Seins“ - und amüsieren uns wohl tatsächlich bald zu Tode, „weil wir von Kopf bis Fuß aufs Sehen eingestellt sind“. Tauwetter

Zwischen Atomangst und Ökologiesehnsucht ist die franziskanische Zeitschrift Tauwetter überschrieben. Das Heft ist ein beeindruckendes Beispiel für die Weltoffenheit der heutigen franziskanischen Bewegung. Ziel der fünf Tauwetter-RedakteurInnen: „Auf den Spuren des Poverello (des Franziskanus, U.B.) 'ja‘ zu sagen zu der Aufgabe, die uns heute ganz fordert: Als Christ mitzubauen, mitzugestalten an der Gegenwart und Zukunft unserer 'Mutter Erde‘.“

So bringt Tauwetter einen Artikel Peter Amendts „Zum Geschäft mit der Umwelt“, der die politischen und wirtschaftlichen Gründe und Konsequenzen des Wackersdorf -Ausstiegs analysiert.

Was können Menschen in der Situation der bedrohten Umwelt von Franziskus lernen, jenem schöpfungsliebenden Bettelmönch aus Assisi? Zum einen: Eine Haltung der Demut und des Mitleidens mit der Schöpfung. Denn Franziskus verstand sich nicht als über der Schöpfung stehend, sondern als Teil der Natur. Zum anderen: Christen sollen „Mitschöpfer“, Mitarbeiter Gottes sein und deshalb einen „geschwisterlichen Umgang“ mit der Schöpfung praktizieren. Unterwegs

„Christen haben Gott auf ihrer Seite, also dürfen sie keine Angst haben“ - so ein oft gebrauchtes Vorurteil, von Christen wie von Nicht-Christen. Unterwegs versucht in einem Heft zum Thema Angst, dieses Klischee zu entkräften. Denn natürlich sind Christen genausowenig vor Angst gefeit wie alle anderen Menschen. Angst haben oder nicht, das ist auch gar nicht das Problem. Sondern auf den Umgang mit Ängsten kommt es an; darauf, daß Angst nicht in die Resignation oder eine ihrer Formen, die Weltflucht, führt. Und genau hier besteht, besonders bei „rechtgläubigen“ Christen, großer Nachholbedarf, wie Psychotherapeut Gerhard Dieckmann meint. In seiner Praxis ist ihm aufgefallen, daß viele seiner christlichen PatientInnen unfähig sind, mit Ängsten konstruktiv umzugehen. Statt die eigenen Ängste ernstzunehmen und ihnen einen unaufgebbaren Platz im eigenen Glaubensleben zuzugestehen, würden viele in „christliche“ Sonderguppen umsteigen, die die Ängste noch rigider verdrängen.

Den Weg heraus aus einer solchen strenggläubigen Gemeinde hin zu einem befreienden Glauben beschriebt Niklas Toborg. „Verleugne deine Persönlichkeit, dann bist zu auf dem richtigen Weg“, wurde ihm eingeprägt. Geplagt durch Depressionen, entschloß er sich zu einer Therapie. Heute betrachtet er Angst als Bestandteil seines Lebens, vor dem er keine Angst mehr habe.

Ebenfalls in Unterwegs: Ein Interview mit Sharon Hostettler, Mitarbeiterin der Witness-for-Peace-Arbeit in Nicaragua. Sie koordiniert die internationalen Beobachter in den Kriegsgebieten Nicaraguas und leitete die gesammelten Informationen weiter, vor allem an die US-Öffentlichkeit.

Evangelische Kommentare. Monatszeitschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft. Heft 10 und 11/1989, je 64 Seiten, je 7,50 DM. Erscheinen moantlich im Kreuz-Verlag, Postfach 800669, 7000 Stuttgart 80.

Publik-Forum. Zeitung kritischer Christen, Heft 22/1989, 52 Seiten, 4 DM. Erscheint 14tägig in der Publik-Forum Verlagsgesellschaft, Postfach 2010, 6370 Oberursel.

Radius. Die Kulturzeitschrift zum Weiter-Denken, Heft 4/1989, 12,80 DM. Erscheint vierteljährlich im Radius -Verlag, Knienisstraße 29, 7000 Stuttgart 1.

tauwetter. Eine franziskanische Zeitschrift, Heft 3/89, 40 Seiten, erscheint vierteljährlich, Bezug gegen Spende bei: Tauwetter, Franziskanerkloster, Apollinarisberg 4, 5480 Remagen.

Unterwegs. Eine Zeitschrift, die biblische Perspektive zu Gegenwartsproblemen aufzeigt und zur Nachfolge Christi einlädt, Heft 3/1989, 50 Seiten, 2,50 DM. Bezug über unterwegs e.V., Postfach 201806, 5600 Wuppertal 2.