: Der Traum von der Kalaschnikow
„Conducator“ Ceausescu, der 14.Parteitag der rumänischen KP und die Perspektiven für die Rumänen angesichts der Entwicklungen in Osteuropa ■ E S S A Y
Bereits vor zwei Jahren, als ich noch in Rumänien lebte, träumte manch einer hinter vorgehaltener Hand im Flüsterton von der Kalaschnikow, die dem Präsidenten vor die Brust gehalten würde. Die Jahre vergehen, die Wunden werden tiefer, die Bevölkerung versinkt immer mehr in der Aussichtslosigkeit - die Kalaschnikow bleibt im Schrank und die Lebensmittel werden ausgeführt, auch in die Sowjetunion. Die Leute bleiben in den Häusern, gehen nicht auf die Straße wie in anderen Ländern. Die Wege zur Straße sind von Sicherheitsbeamten versperrt. Und: „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ (Georg Trakl, Grodek
Angesichts der Reformen in Ost- und Mitteleuropa konnte Pavel Kohout in bezug auf die Tschechoslowakei vom „Domino -Effekt sprechen. Und selbst in Bulgarien warf ein Dominosteinchen Tehodor Schiwkow aus dem Sattel. Doch was Rumänien betrifft, da bleiben die Dominosteine entweder vor dem eisernen Vorhang des selbsternannten „Conducators“ stehen, oder sie fallen einfach um ins Nichts, weil Rumänien selbst nicht mehr in Europa liegt.
So erlaubt es sich Ceausescu, gestützt auf seine und seiner Ehefrau Familienmitglieder, die den Polizeiapparat fest im Griff haben, sich während eines jeden Parteitages unter gut inszeniertem frenetischem Jubel erneut wählen zu lassen. Bis daß der Tod ihn von seinen Knechten scheidet. Und dann werden Chaos und Selbstjustiz die Atmosphäre im Land bestimmen.
Logisch wäre, daß Geheimdienst, Polizei und Militär endlich mal zu dieser Einsicht kämen und sie, um später nicht gelyncht zu werden, die Initiative ergriffen und den Ceausescu-Clan schnellstmöglich stürzten. Doch Logik gibt es in Rumänien seit langem keine mehr. Und ich frage mich, wo bleibt die Logik, wo bleiben Vernunft und Moral all jener Parteien, die ihre Vertreter zu diesem 14.Parteifiasko nach Bukarest geschickt haben? Oder darf ich an die Politik gar keine moralischen Ansprüche mehr stellen?
Was bleibt, in diesen Zeiten der friedlichen Revolutionen - es ist paradox: der verzweifelten Menschen Traum von der Kalaschnikow. Diesen Traum können sie sich erlauben, weil sie wissen, daß sie, abgesehen von einigen kleinen Gruppen in Ost und West, von den Politikern so ziemlich verlassen wurden, abgedriftet ins politische Vakuum. Helmuth Frauendorfer
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