„Wir sind dem Zusammenbruch nahe“

Ein Gespräch mit der CRC-Direktorin Dr.Elizabeth Marcelino  ■ I N T E R V I E W

taz: Gibt es auf den Philippinen Fälle, wo Kinder vom Militär festgenommen und inhaftiert worden sind?

Fr.Dr.Marcelino: Nicht direkt verhaftet, aber sie gelangen ins Gefängnis als Resultat der Festnahme ihrer Eltern, d.h. diese bitten darum, daß die Kinder bei ihnen bleiben können, und das Militär genehmigt es. Kürzlich gab es jedoch einen solchen Fall: Eine ganze Familie wurde festgenommen und verschwand später spurlos. Vater, Mutter, ein dreijähriger Junge. Ein sechs Monate altes Mädchen wurde allein zurückgelassen. Vorfälle dieser Art werden häufiger. Das ist früher so gut wie nie passiert.

Sprechen die Kinder über ihre entsetzlichen Erlebnisse?

Nicht im Einzelgespräch, sondern durch andere Medien wie Puppenspiel, Malen, Zeichnen, Theater, Spiele und das Erzählen von Geschichten.

Verfügen Sie über Angaben, wer gegen Kinder vorgeht? Ist es das Militär, oder ist es die Guerilla der NPA?

Was Kinder betrifft, haben wir noch nie gehört, daß die NPA sie drangsaliert. Die Berichte weisen eindeutig auf Soldaten hin. Doch wir sind keine Anwälte, die das beweisen wollen. In ihren Darstellungen spiegeln sich die Alpträume und Ängste der Kinder wider. Sie fürchten sich vor Soldaten, Männern mit Waffen, Leuten mit Uniformen in bestimmten Farben, einem besonderen Haarschnitt usw., die natürlich mit dem Outfit von Militärangehörigen übereinstimmen. Die Identifizierung wird jedoch immer schwieriger, denn jetzt kommen die Milizen und die Bürgerwehren hinzu. Es kann jetzt der Nachbar oder ein Bekannter sein, der sich diesen Gruppen angeschlossen hat.

Hat der Machtwechsel im Februar 1986 die Situation der Kinder im Bürgerkrieg verändert?

Es gibt keinen Unterschied zwischen der Marcos-Ära und heute. Es ist eher schlimmer geworden. Das konnte ich in den ersten Jahren der Aquino-Regierung noch nicht sagen. Wir haben eine Intensivierung des Krieges festgestellt und entsprechende Konsequenzen für die Kinder. Die Menschenrechtsverletzungen werden brutaler. Davon sind die Erwachsenen ebenso betroffen wie die Kinder. Allein die Zahl der Opfer, die Statistik, ist überwältigend. Wir sind dem Zusammenbruch nahe, denn wir bekommen immer mehr Notfälle, die wir kaum noch behandeln können. Wir können wenig tun, verglichen mit den 2,5 Millionen Kindern, die gegenwärtig vom Krieg betroffen sind. Und das ist noch eine sehr vorsichtige Schätzung. Auch qualitativ ist die Situation schlimmer geworden. Früher waren die Fronten klarer. Und wenn die Menschen gezwungen wurden, in Wehrdörfer zu gehen, war wenigstens für Nahrung und medizinische Versorgung gesorgt. Jetzt werden ganze Orte einfach evakuiert, ohne jede Alternative, und die Menschen sind gezwungen, in die großen Städte abzuwandern oder in Schulen und Kirchhöfen zu kampieren. Unter diesen Bedingungen kann nur noch Nothilfe geleistet werden. An Rehabilitierung, an psychologische Unterstützung ist nicht mehr zu denken.

Kümmert sich irgendeine Regierungsbehörde um die jungen Opfer des Krieges?

Überhaupt keine. Manchmal überweisen sie Fälle an uns, ohne viel Aufhebens, weil wir nicht als Institution für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen anerkannt werden. Man betrachtet uns als eine Art Kindertageszentrum. Sonst müßten sie zugeben, daß ein Krieg mit Begleiterscheinungen wie Folter geführt wird.

Sie erhalten also auch keine finanzielle Hilfe von der Regierung?

Nichts. Null. Im Gegenteil, wir haben z.B. versucht, Gelder bei Unicef zu beantragen, doch das ist gescheitert, weil die Regierung ihre Zustimmung verweigert hat.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Militär?

Also im Moment ist es ruhig. In der Vergangenheit sind wir schikaniert worden. Zwei unserer Mitarbeiter wurden verhaftet. Außerdem hat man versucht, die Publikation einer Fallgeschichte zu verhindern. Danach ist nichts mehr passiert, doch wir fühlen, daß wir beobachtet werden und daß sie unsere Telephone abhören. Eltern haben gelegentlich Angst, hierher zu kommen, weil mal wieder ein Checkpoint errichtet wurde, wo sie aufgefordert werden, ihre Besuche einzustellen. Wir kommen nicht darum herum, daß unsere Tätigkeit im Kontext von Gewalttaten und Familientragödien politisch ist, doch wir geben keine politischen Erklärungen ab, weil die Kinder für sich selbst sprechen können.

Interview: Gebhard Körte