Die Kinder des Sturms

Kinder sind die vergessenen Opfer des philippinischen Bürgerkrieges / Das „Children's Rehabilitation Center“ (CRC) in Manila führt einen aussichtslosen Kampf um die seelische und körperliche Genesung junger Bürgerkriegsopfer / Die philippinische Administration ignoriert das Problem  ■  Aus Manila Gebhard Körte

Zu den wenigen Institutionen, die lieber heute als morgen von der Bildfläche verschwinden würden, zählt das am Stadtrand der Acht-Millionen-Metropole Manila gelegene „Children's Rehabilitation Center“ (CRC). Statt dessen hat das im Juni 1985 etablierte Zentrum, das sich der Rehabilitierung von im Bürgerkrieg traumatisierten Kindern widmet, vor kurzem ein ambitioniertes Expansionsprogramm eingeleitet. „Es gibt keinen Unterschied zwischen der Marcos -Ära und heute. Es ist eher schlimmer geworden“, resümiert die Psychologie-Professorin Dr.Elizabeth Marcelino, Gründerin und Direktorin des CRC.

Die Pionierarbeit der in den Philippinen bislang einzigartigen Einrichtung geht zurück auf persönliche Erfahrungen von Frau Marcelino. Ihr Mann, ein Gewerkschaftsfunktionär, saß bereits als politischer Gefangener hinter Gittern, als auch sie 1984 als Angehörige der außerparlamentarischen Opposition für drei Monate in Haft genommen wurde. Während dieser Zeit wurde ihr bewußt, in welchem Ausmaß Kinder durch die gewaltsam ausgetragenen gesellschaftlichen Konflikte betroffen sind: nicht nur im Gefängnis, wo sie mit ihren Müttern, Vätern oder beiden Elternteilen leben müssen, wenn sie nicht von Verwandten aufgenommen werden können, sondern besonders in den Provinzen auch als direkte und indirekte Opfer der Guerillabekämpfung. Alarmiert stellte sie nach ihrer Entlassung fest, daß sich keine einzige Regierungsbehörde um diese Kinder kümmerte. Im Jahr darauf nahm das CRC mit zwei hauptamtlichen Beschäftigten seine Arbeit auf, von Anfang an unterstützt von terre des hommes und ab 1987 auch von der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt.

„Seit 1972 sind nicht weniger als fünf Millionen Kinder von diesem Konfikt in Mitleidenschaft gezogen worden“, heißt es in einer Broschüre des Zentrums mit dem Titel Die Kinder des Sturms. Meistens durch gravierende Menschenrechtsverletzungen und durch Grausamkeiten, die an Eltern und Angehörigen verübt werden, aber auch, weil sie selbst festgenommen, geschlagen, vergewaltigt, verstümmelt und getötet werden. Gemeinsam mit ihren Familien erleiden sie Bombardierungen, Lebensmittelblockaden, Plünderungen, Brandstiftungen und Zwangsevakuierungen. Kriegserlebnisse, die Erwachsene kaum verarbeiten können, erzeugen bei Kindern massive psycho-soziale Probleme. Angst, Verwirrung und Mißtrauen äußern sich in Symptomen wie Rückzug, Depression, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit und geringer Selbstachtung, aber auch in Aggressivität und Zynismus. Hinzu kommen körperliche Erkrankungen und Unter- bzw. Fehlernährung als Folge von Flucht und Zerstörung der Existenzgrundlagen.“

Trotz einer enormen Personalerhöhung, der Schaffung von kommunalen Ablegern in Arbeitervierteln Manilas und von regionalen Zweigstellen in den besonders umkämpften Regionen Mindanao und Bicol, und trotz zunehmender Professionalisierung erreichen die etwa vierzig Mitarbeiter nach eigenen Schätzungen weit weniger als ein Prozent der Betroffenen. Hauptanliegen des CRC ist es, die Familien zu stabilisieren und ihren völligen Zusammenbruch zu verhindern. Für Waisen werden Pflegefamilien gesucht. Der ganzheitliche Ansatz besteht aus Einzel- und Gruppentherapie, Elternberatung, Finanzhilfen, einkommenserzeugenden Maßnahmen und speziellen Sommerprogrammen. Obwohl beachtliche Erfolge erzielt worden sind, wird die Arbeit durch finanzielle Dauerprobleme, hohe Fallzahlen und den geringen Stellenwert psychologischer Rehabilitierung in der philippinischen Gesellschaft enorm behindert. Therapie als wichtigster Programmbestandteil genießt bei vielen Eltern, deren Hauptsorge wirtschaftliches Überleben ist, geringe Priorität. Die Kinder werden auch deshalb kaum ermutigt, sich mitzuteilen, weil stille Kinder traditionell als „gute“ Kinder gelten.

Über die unmittelbare Hilfe für zahlreiche betroffene Individuen hinaus beteiligt sich das CRC inmitten der gesellschaftlichen Polarisierung und eskalierenden Gewalt an Friedenserziehung, wenn auch ohne Illusionen, denn die Anordnung eines totalen Krieges gegen die Aufständischen durch Frau Aquino habe den berechtigten Ruf der Bevölkerung nach wirklichen Veränderungen der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation illegalisiert. „Es kommt“, erläutert die Psychologin J. Acuna, „dem Versuch gleich, einem Kind beizubringen, leise zu sprechen und sich sanft zu verhalten, nachdem es angebrüllt und brutal bestraft worden ist“.

Während die materielle Not nach den bisherigen Erfahrungen noch relativ einfach zu lindern ist, lassen sich die seelischen Wunden nur langsam heilen. „Wie lehrt man ein Kind, einer Welt zu vertrauen, die so willkürlich die nächsten Angehörigen auslöscht?“ „Wie läßt sich die verlorene Kindheit in Spiel, Lachen, Freude, Schutz und Sicherheit zurückgewinnen, wenn nach dem Verlust der Eltern eine so große Bürde an Verantwortung zu übernehmen ist?“ Das sind Fragen des CRC, denen die amtierende philippinische Administration nicht nur ausweicht, sondern deren Lösung sie aktiv entgegenarbeitet. Weil umfassende psychologische Theorien fehlen, mußten die therapeutischen Antworten trotz punktueller Zusammenarbeit mit dem Internationalen Forschungszentrum für Folteropfer in Kopenhagen in mühevoller Kleinarbeit selbst gefunden werden. Besonders wichtig waren Intuition und genaue Beobachtung: „Die Kinder zeigen uns, wie wir mit ihnen arbeiten müssen.“

Ein Satz im letzten Jahresbericht des CRC macht jäh deutlich, wie begrenzt die Möglichkeiten der Organisation angesichts der wachsenden Militarisierung sind: „Das CRC kann künftige Traumata nicht verhindern.“