Vorteile im Auswärtsspiel

■ EDV-Konzerne aus den USA und Japan: Auf dem Binnenmarkt zählen Entwicklungstempo, schiere Größe und Globalität

Teil 36: Horst Buchwald

Kürzlich boten die Astrohall in Houston und das Hamburger Congress-Centrum eine aufsehenerregende Show. Mit Pauken und Trompeten, Laserkanonen und einem Feuerwerk wurde der Weltöffentlichkeit ein neues High-Tech-Produkt präsentiert.

Kein Automobil mit 18 Zylindern und 20 Ventilen, kein Flugzeug mit Flüstertriebwerk, sondern zwei neue Computer wurden aus der Taufe gehoben. Compaq, einer der führenden PC -Hersteller aus den USA, bot mit „System-Pro“ einen Rechner an, der laut Eigenwerbung „alles vergessen“ läßt, was „Sie bisher über Leistungsgrenzen von Personal Computern gehört haben“.

Pünktlich zur Computer-Messe „Systems 89“ hatte zuvor ein anderer US-Computerkonzern, nämlich Hewlett Packard, den Wettkampf um die Präsentation von neuen Superrechnern in immer kürzeren Zeitabständen eröffnet. Er ist mit dem neuen 486er Chip von Intel ausgestattet. Nur wenig später zog Olivetti mit einem PC nach, der außer dem 486er Chip auch noch den Grafik-Chip i860 von Intel bot.

Das atemberaubende Tempo, mit dem Computerkonzerne sich gegenseitig durch immer schnellere Rechner den Rahm abschöpfen wollen, bringt selbst die besessensten Computerfreaks außer Atem. Der Kampf um den Markt ist gnadenlos. (Wie eh‘ und jeh‘, - also was soll's! d.S.) Und er findet in allen Segmenten gleichzeitig statt: Bei der Hardware, der Software und der Peripherie. Ob Produzenten von Großcomputern (Mainframes), Arbeitsplatzrechnern (Workstations) oder Personalcomputern - wer in dieser Branche überleben will, muß schneller, besser, billiger sein als die Konkurrenz.

Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die europäische EDV -Industrie Mühe hat, dem Tempo der amerikanischen und japanischen Konkurrenz zu folgen. Der britische DV -Fachjournalist Richard Sharpe beschrieb in der „Computerwoche“ die Erwartung eines amerikanischen Produzenten für den Europäischen Markt nach 1992 mit folgenden Worten: „Es wird für die US-Hersteller Milch und Honig fließen. Die nordamerikanischen Hersteller werden sich satt verdienen am Reichtum der europäischen Industrie... Viele von ihnen werden zudem schlicht aufkaufen, was sie im offenen Marktgeschehen nicht besiegen können.“

In der Tat: Die Position der europäischen EDV-Industrie ist denkbar schlecht. Siemens und Nixdorf (BRD), ICL (Großbritannien), Bull (Frankreich) und Olivetti (Italien) liegen gegenüber den großen DV-Konzernen IBM (USA), Digital Equipment (DEC/USA), Fujitsu (Japan), NEC (Japan), Unisys (USA), Hitachi (Japan) und Hewlett Packard (HP/USA) klar zurück. Während die US-amerikanischen und japanischen Firmen global operieren, spielen die Europäer eine vorwiegend nationale Rolle mit einigen internationalen Außenposten.

Der gravierendste Schwachpunkt Westeuropas ist die Chipproduktion. Wegen eines Anteils von gerade mal elf Prozent in der Welthalbleiterfertigung besteht eine große Abhängigkeit von japanischen und US-amerikanischen Herstellern, die einen Anteil von 54 und 33 Prozent besitzen.

Noch größer ist die Abhängigkeit bei den Maschinen für die Chipproduktion - sie kommen zu 80 Prozent aus Japan. Europäische Konzerne sind dadurch gezwungen, ihr Systemwissen jenen japanischen und US-amerikanischen Chip -Fabriken zu überlassen, in denen auch die schärfsten Konkurrenten dieser Länder fertigen lassen.

Nach Schätzungen der World Semiconductor Trade Statistics (WSTS) in Tokio stieg die weltweite Nachfrage nach Computerchips 1988 um 38 Prozent und wird im laufenden Jahr um 14,4 Prozent auf rund 51,5 Milliarden Dollar zunehmen. Bis 1992 rechnen die Experten mit einer jährlichen Wachstumsrate von 10,5 Prozent, woraus sich ein Volumen von 67 Milliarden Dollar ergibt. An diesem Segen werden die Europäer kaum teilhaben. Ernsthafte Schritte zum Abbau der Abhängigkeiten werden frühestens Mitte der 90er Jahre erwartet.

Unter der Leitung von Siemens, SGS-Thomson und Philips wollen 29 Unternehmen aus Italien, Frankreich, Großbritannien, der BRD und den Niederlanden mit einem Gesamtaufwand von acht Milliarden Dollar bis 1996 die Technologie für einen 64-Megabit-Chip entwickeln. Von „Jessi“, so der Programmname, versprechen sich die Europäer eine technologische Selbstversorgung.

Auch auf dem boomenden Markt für Workstations ist die Vorherrschaft der USA und Japans recht eindeutig. Hier zeichnet sich ein scharfer Wettbewerb zwischen DEC und HP ab. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Dataquest soll der Weltumsatz für Workstations bis 1992 auf jährlich 20 Milliarden Dollar hochschnellen - 1988 waren es gerade fünf Milliarden Dollar. Auch von diesem Geschäft sind europäische Computerkonzerne weitgehend ausgeschlossen.

Mit dem Projekt „Spirit“ wollen fünf Unternehmen unterstützt durch die EG-Komission - bis Mitte der 90er Jahre eine Maschine mit der hundertfachen Rechenleistung der heutigen Geräte produzieren.

Die Projektführung liegt beim bayrischen Anbieter Kontron. Das Amsterdamer Softwarehaus ACE, Caption, ein französische Hersteller für graphische Hochleistungssysteme, und die British Aerospace sind die wichtigsten Partner. Auch hier ist der Markterfolg ungewiß.

Auf dem Softwaremarkt ist die Position der US-Firmen ebenso unangefochten. Mit IBM, das sich durchaus zu Recht als das „größte Softwarehaus der Welt“ tituliert, und der Konkurrenz Computer Associates kann lediglich das französische Softwarehaus Cap Gemini mithalten. Der globalen Ausrichtung dieser Unternehmen steht die weitgehend nationale und regionale Bedeutung der meisten europäischen Händler mit der weichen Ware gegenüber.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für immer mehr europäische DV-Produzenten die Frage nach der Überlebensstrategie. Dabei bieten sich zwei Möglichkeiten an:

-Strategische Allianzen und Kooperationen;

-Wachstum in europäische und Weltmarkt-Dimension durch Übernahmen und/oder Beteiligung.

Der in die Krise geratene Nixdorf-Konzern versucht gegenwärtig durch eine technische Kooperation mit dem kalifornischen Chip-Fabrikanten Mips sowie den Computerbauern Tandon und Pyramid aus einer Produktkrise zu kommen. Weil die Chancen dafür gering sind, bleiben Mannesmann und Siemens weiterhin als Interessenten für die Übernahme des Paderborner Unternehmens im Gespräch.

Auf diese Weise soll auch verhindert werden, daß AT&T den angeschlagenen Konzern aufkauft. Für 180 Millionen Pfund hat der US-amerikanische Telekommunikationsgigant bereits im vergangenen Monat das britische Unternehmen Istel übernommen, das ua. Erfahrungen mit Datenzentren und Datennetzen besitzt.

Durch die Übernahme des amerikanischen PC-Bauers Zenith will sich Bull auf einen der vorderen Plätze in der DV -Industrie schieben. Mit einem Umsatz von rund sieben Milliarden Dollar würden die Franzosen Siemens überrunden und vor den Deutschen auf Platz 8 der führenden Weltcomputerkonzerne landen.

Sehr viel mehr Bewegung gibt es in der bundesdeutschen Softwarebranche. So geriet ADV/Orga unter die Kontrolle der Commerzbank; Thyssen hält ein Drittel der Aktien an Ikoss; BMW beteiligt sich mit 28 Prozent an Softlab.

Dieser Trend, daß sich Industriekonzerne Softwareperlen, zulegen hält an: Hoesch ist bei mbp beteiligt, und VW hat mit VW-gedas und VW-consult gleich zwei Töchter ins Rennen geschickt. Im nächsten Jahr wird Daimler Benz mit einem Systemhaus aufwarten.

Diese Entwicklung ist keineswegs überraschend. Daß die Software-Umsätze die der Hardware schon bald übersteigen, ist inzwischen Allgemeingut.

Ob in Kfz-Industrie, Maschinenbau-, Unterhaltungs- und Haushaltselektronik - überall erhöht die Software das Know -how-Niveau. Die EG-Komission schätzt das Marktvolumen für Software auf gegenwärtig 60 Milliarden DM jährlich - bis 1992 soll es sich jedoch verdoppelt haben.

Doch die nationale und regionale Orientierung der europäischen Softwarehäuser wird nur schwer aufgebrochen. Einen ernsthaften Versuch startete jetzt die bundesdeutsche CompuNet AG durch ein Joint venture mit den führenden IBM -Systemhäusern Großbritanniens und Frankreichs.

Mit Sitz in Paris wurde die International Computer Group B.V. (ICG) gegründet. Zu gleichen Teilen sind die CompuNet -Gruppe, die Computacenter London und die Groupe Random aus Paris an der ICG beteiligt. Kooperationsverträge bestehen darüber hinaus mit der Sistex in Italien sowie der Dialogue Logique aus der Schweiz. Mit diesem Joint venture soll der „größte Integrator von IBM-Systemen in Europa“ entstehen, verkündet die ICG. Mit 1.500 Beschäftigten und rund einer Milliarde DM Umsatz hat das Unternehmen durchaus Überlebenschancen.

Martin White vom US-Marktforschungsunternehmen IDC könnte mit seiner Prognose, daß die nächsten Jahre „wenige Gewinner und viele Verlierer“ in der EDV-Industrie sehen werden, durchaus recht behalten.

Die ständig steigenden Kosten für Forschung und Entwicklung sowie den fortlaufenden Margenverfall können nur wenige Unternehmen auffangen.