Nur Begleitgrün und Schallschutzkosmetik für den ICE

Die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse Köln-Frankfurt wird nicht nach Kriterien der Umweltverträglichkeit konzipiert, sondern sie entsteht im provinziellen Prestigegerangel / Bonner Kabinett verschiebt Entscheidung über Streckenführung wegen Kollision mit dem Subventionsmagneten „Transrapid“  ■  Aus Frankfurt Mathias Bröckers

„Wenn ihr das Ding baut, dann kriegt ihr nicht nur eine, sondern viele Startbahnen West“ - es ist kein schwarzlederner Autonomer aus der Mainmetropole, sondern ein ganz normaler Bürger der Westerwaldgemeinde Niedererbach, der diese Drohung mit hochrotem Kopf in den Saal ruft. Das Dorfgemeinschaftshaus ist brechend voll an diesem Oktoberabend und die Stimmung geladen. Der Hinweis auf die Kämpfe am Frankfurter Flughafen ist nicht die einzige Protestankündigung, die Bundesbahnvertreter und Kommunalpolitiker hören müssen.

Seit Monaten bereisen Öffenlichkeitsarbeiter der Bundesbahn Dörfer und Städte zwischen Frankfurt und Köln, um auf Veranstaltungen wie dieser für den Neubau einer Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Rhein/Ruhr und Rhein/Main zu werben: Spätestens im Jahr 2000 sollen nach dem Willen der Bahn und der Kohl-Regierung zwischen Frankfurt und Köln Züge mit einer Geschwindigkeit von 250 bis 300 Stundenkilometern fahren und die Fahrtzeit von zweieinviertel Stunden um etwa die Hälfte verkürzen.

Der Milliarden-Schwenk

Im Verkehrsministerium Zimmermanns ist der Neubau seit Juli dieses Jahres beschlossene Sache, am 23.November sollte das Bundeskabinett das Vorhaben absegnen. Doch kurzfristig hat man die Entscheidung von der Tagesordnung gestrichen: Um die Bahnhöfe und Anschlüsse an das „Herzstück“ (Bahnchef Gohlke) eines künftigen europäischen High-Speed-Netzes hat sich ein Gerangel von Provinzfürsten entzündet. So geht der Bonner Bürgermeister Daniels davon aus, daß ein Europaexpreß an der provisorischen Hauptstadt nicht einfach vorbeirasen kann. Der von der Bundesbahn parallel zur Autobahn A3 mit Haltepunkten in Siegburg und Limburg geplante Schnellzug (Kosten: 4,5 Milliarden Mark) müsse kurz vor Köln in einer Schleife abknicken und am Bonner Hauptbahnhof vorfahren. Die eine Milliarde Zusatzkosten, die dieser Schwenk nach Bonn durch die notwendige Untertunnelung des Rheins verursacht, war nicht nur Daniels das Renommee der Hauptstadt wert. Auch Kohl wollte seine Wirkungsstätte nicht im Schnellbahnabseits sehen und garantierte dem Parteifreund schon einen Anschluß.

Um die Kosten nicht bereits im Vorfeld explodieren zu lassen, suchte man im Hause Zimmermann einen Kompromiß und entdeckte den rechtsrheinischen Bonner Vorort Villich, an dem man ohne Rheintunnel für „nur“ 500 Millionen Mark Extrakosten Station machen könne. Hier nun schlug der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wagner Alarm: Wenn die Rhein/Ruhr-Rhein/Main-Verbindung schon einen Knick nach Bonn einlege, dann müsse auch, in einer linksrheinischen Schleife, die Rhein/Mosel-Metropole Koblenz angebunden werden. Mehrkosten: etwa zwei Milliarden. Die Rheinland -Pfälzer drohten, jeden anderen Entscheid gerichtlich anzufechten, weil eine linksrheinische Trasse nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch umweltverträglicher sei.

Ein weiterer Knüppel zwischen die Beine des unter Zeitdruck stehenden Verkehrsministers: Als Friedensangebot stellte Zimmermann den Pfälzern die Elektrifizierung der Strecke nach Limburg, wo die Koblenzer nach halbstündiger Fahrt zusteigen könnten, sowie den Einsatz der neuen schnellen „Pendolino„-Züge in Aussicht, die sich künftig mittels „gleisbogenabhängiger Wagenkastensteuerung“ (Bahndeutsch) in die zahlreichen Kurven der Mosel- und Nahestrecken legen sollen. Offenbar nicht genug für die Pfälzer, deren Verkehrsstaatssekretär Eggers den Planern „mangelnde Sorgfalt“ bis hin zur Fahrlässigkeit vorwirft: „Weder die Bestimmung der verkehrspolitischen Ziele noch die umweltpolitischen Belange oder die Wirtschaftlichkeitsberechnungen wurden sorgfältig genug studiert“, so Eggers in Windshagen (Westerwald). Dort hatten sich die Bürgermeister der an der Trasse liegenden Gemeinden von Königswinter bis Wiesbaden getroffen, um ihre bisher erfolglosen Einzelproteste zu koordinieren. Die Bundesbahn versucht derlei Kritik mit dem Hinweis abzutun, die Streckenführung sei bisher nur „grob trassiert“ (im Maßstab 1:5.000). Um Details zu untersuchen müsse erst die Entscheidung der Bundesregierung abgewartet werden. Wie die allerdings sachgerecht entscheiden soll, wo Wirtschaftsnutzen und Umweltverträglichkeit des Projekts derart ungenau überlegt sind, wissen die Götter. Daß der Neubau, wenn sich beim Planfeststellungsverfahren ökologische Unzumutbarkeiten herausstellten, noch storniert würde, daran glaubt in den betroffenen Gemeinden niemand. Der Umweltjurist Jürgen Salzwedel weiß aus Erfahrung, was bleiben wird: „Begleitgrün und Schallschutzkosmetik“.

Speed gegen Natur

An diesen Ingredienzen aus dem Hause des Umweltministers wird es mit Sicherheit nicht fehlen. Daß sie indessen nichts nützen, ist ebenso ausgemacht. So muß, um dem Kanzlerwunsch eines europäischen Halteplatzes in Bonn-Villich Genüge zu tun, der Ennert, ein Mittelgebirgs-ausläufer bei Bonn, mit einem riesigen Tunnel unterhöhlt werden. Im weiteren Verlauf durchschneiden die Brücken und Tunnels der Trasse einen der ältesten Naturschutzparks Deutschlands, das Siebengebirge, durchqueren das Erholungsgebiet vieler Ruhrpottmalocher, den Westerwald, und sodann den dichtbesiedelten Taunus - dies alles nicht nur in Beton und Stahl, sondern in Hochgeschwindigkeit, das heißt mit dem Lärm eines Tieffliegers.

Mindestens viermal pro Stunde soll der Intercity-Expreß nach 1998 über die frischplanierte Trasse donnern, der auf den knapp 200 Kilometern etwa 760 Hektar Landschaft weichen müssen, darunter etliche Schutzgebiete und Trinkwasserreservoire. Doch sind es nicht die schweren Umweltbelastungen und die Diskussion möglicher Alternativen, die Kabinettsentscheidungen über die Streckenführung verzögern - es sind die Eiertänze provinziellen Prestigegerangels, auf kommunaler wie auf Bundesebene.

Magnetzug mit Mängeln

Wie wenig dies mit sinnvoller, geschweige denn mit ökologischer Verkehrsplanung zu tun hat, offenbart eine Kollision gigantischen Ausmaßes, die alsbald in Bonn drohen könnte: Von hier will nämlich Forschungsminister Riesenhuber die Bundeshauptstadt und die Flughäfen Köln-Bonn und Düsseldorf mit einer „Referenzstrecke“ der Magnetbahn Transrapid verbinden. Ergebnis dieser verkehrpolitischen Planwirtschaft wäre, daß Abgeordnete zwischen Bonn und dem Flughafen künftig auf zwei Schnellbahntrassen verkehren können, denn auch Zimmermanns ICE soll am Flughafen haltmachen. Daß die Kabinettsentscheidung jetzt auf den Februar verschoben wurde, ist freilich nicht der Einsicht in diese Groteske geschuldet, sondern der mangelnden technischen Reife des Transrapids. Technische Prüfer der Bundesbahn entdeckten bei dem bisher mit 1,7 Milliarden subventionierten Magnetzug zahlreiche Mängel, so ist unter anderem die Geräuschentwicklung sehr viel höher als vorausgesagt. Doch auch die Bundesbahn unterstützt prinzipiell Riesenhubers Idee einer Vorführstrecke, um die Exportchancen der Firma Thyssen, die bisher 100 Millionen Mark zum Transrapid beisteuerte, zu erhöhen. Für Verkehrsminister Zimmermann sind mit den technischen und finanziellen Schwierigkeiten des Transrapid die Chancen „seiner“ Hochgeschwindigkeitsstrecke erheblich gestiegen zwar hat auch er, wie sämtliche Koalitionsgenossen, am 16.November dem neuen Gesetz einer „Umweltverträglichkeitsprüfung“ (UVP) zugestimmt, nach der künftig bei allen Großprojekten wie zum Beispiel Bahnstrecken die Umweltauswirkungen in einem umfassenden Verfahren geprüft werden müssen. Doch daß das Verkehrsministerium die UVP bei der Hochgeschwindigkeitstrasse so anwendet, wie es der Rat der Umweltsachverständigen für die Planungsphase empfiehlt nämlich eine „bessere Lösungen bis hin zur völligen Aufgabe des Vorhabens“ offenzuhalten -, dagegen sprechen nicht nur der Name Zimmermann, sondern mangelnde regionale Verkehrskonzepte.