Gibt es Reformkommunisten in der CSSR?

■ Interview mit Dr. Vaclav Vrabec, Historiker und ehemaliges Redaktionsmitglied der Parteizeitung 'Rude Pravo‘

taz: In den letzten Tage verstärkt sich der Eindruck, daß sich in der Führung der KP zwei Strömungen herausbilden. Ministerpräsident Adamec scheint zu sehr viel weitreichenderen Reformen als Milos Jakes bereit zu sein.

Vaclav Vrabec: Zwischen ihnen gibt es große Unterschiede in den moralischen Qualitäten. Während Adamec keine Verantwortung für die Invasion im August '68 trägt, gehört Jakes zu der Gruppe, die die Panzer gerufen hat. Diese Anhänger der Partei Breschnews können einiges von dem, auf was die Nation nun wartet, nicht durchführen, so, zum Beispiel, eine Verurteilung der „brüderlichen Hilfe“ oder auch eine andere Bewertung der Ereignisse in Polen zu Beginn der achtziger Jahre. All dies belastet Adamec nicht. Jakes setzt alles daran, auch ohne Reformen politisch zu überleben. Adamec ist der Ansicht, daß einige Reformen nötig sind und in seiner Art meint er das wahrscheinlich sogar ehrlich. Daher muß man ihn unterstützen.

Was erwarten Sie von der ZK-Sitzung?

Es wird viel leeres Stroh gedroschen werden. Aber man wird sich auch streiten. Denn zum einen will keiner seine Macht, seine Position räumen, zum anderen gibt es aber auch keine Nachfolger. Die Partei hat hier Probleme mit ihrem eigenen System. 20 Jahre lang verhinderte die strenge Kaderpolitik, daß junge Leute in höhere Positionen aufsteigen - diese fehlen nun. Zudem haben sie Angst, daß sie in vier bis sechs Wochen unter dem gleichen Druck stehen wie heute Jakes. Aber bisher wird sich niemand finden, der sich über ein höheres Parteiamt freut, auch wenn es mit großen Privilegien verbunden ist. Die augenblickliche Entwicklung hat nicht nur die Opposition, sondern insbesondere die Partei sehr überrascht. Sie ist auf Veränderungen nicht vorbereitet. Anders als in Polen, Ungarn oder der Sowjetunion gibt es keinen Reformflügel, die Reformkommunisten mußten nach '68 die Partei verlassen, zurück blieben Opportunisten.

Es gibt Nachrichten, daß auch einige Grundorganisationen der Partei inzwischen die Forderungen der Studenten unterstützen.

Ja, das stimmt. Ich selbst war gestern in einigen Fakultäten und habe dort mit Professoren und Dozenten, in der Mehrheit Kommunisten, gesprochen. Gegenüber ihren radikalen und kämpferischen Studenten haben sie eine eher konservative Meinung. Doch in Gesprächen unter vier Augen wird deutlich, daß sie es für eine große Tragödie halten, daß die Gruppe um Jakes ihre Position nicht aufgeben will. Man kann diese Leute einfach nicht mehr sehen. Wie unter den Arbeitern herrscht auch hier Angst, etwas von dem erreichten Lebensstandard einbüßen zu müssen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der „Sozialistischen Partei der Tschechoslowakei“, die sich in diesen Tagen bemüht, sich an die Spitze der demokratischen Protestbewegung zu stellen?

Die Sozialistische Partei war bis zu ihrer Basis hinab eine Partei der Kollaborateure. Sie ist in den fünfziger Jahren sehr stark von der Geheimpolizei infiltriert worden. 1968 übernahm sie dann von dem einen auf den anderen Tag einige Vorstellungen Masaryks, doch bereits ein halbes Jahr nach der Okkupation stand sie erneut an der Seite der KP. Heute jedoch muß ich sagen, daß sie für die Opposition wichtig ist. Wir, professionelle Dissidenten seit 20 Jahren, hatten in dieser Zeit nur begrenzte Möglichkeiten, uns weiterzubilden. Wir mußten physisch arbeiten, konnten nicht ins Ausland fahren. Die wenigen aber, die sich nicht kompromittierten, nach außen konform zeigten, sind konsequent und ausgeruht. Sie müssen jetzt nach vorne.

Interview: Katerina Wolf