Der soziale Konkurrenzkampf verschärft sich

Aussiedler und Übersiedler konkurrieren mit Einheimischen um Arbeit und Wohnung / Wohlfahrtsverbände berichteten auf einem Hearing in Bonn / Mißstände provozieren in der Bevölkerung Ablehnung gegen die Neuen / Innenministerium besorgt Mobilhomes  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Durch den immensen Anstieg der DDR-Übersiedlerzahlen verschlechtern sich für Aussiedler die Intergrationsmöglichkeiten noch mehr als bisher. Hiesige Arbeitslose und Arme wiederum geraten in einen härteren Konkurrenzkampf mit beiden Gruppen um Arbeitsplätze und Wohnungen: der „soziale Frieden“ ist in Gefahr.

So beschrieben Vertreter von Wohlfahrtsverbänden am Donnerstag in Bonn die aktuelle Lage. Die Veranstaltung der „Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ kam auf Anregung der Bundesregierung zustande, und entsprechend zurückhaltend formulierten die Verbände ihre Kritik an offiziellen Maßnahmen. Doch die Berichte aus dem Alltag von SozialarbeiterInnen sprachen für sich.

Zum Beispiel Hannover: Die Hälfte aller freiwerdenden Sozialwohnungen, und das sind wenig genug, werden an Aussiedler vermittelt. Einheimischen Wohnungssuchenden steht eine Sozialwohnung nur noch im Extremfall zu, und dies bedeutet nach der Schilderung der Sozialarbeiterin Ursula Ernst, „daß bei einer normalen Ehescheidung ein Getrenntleben in der gemeinsamen Wohnung zugemutet wird“. Nur wenn die Ehefrau körperlich mißhandelt wurde, hat sie Anspruch auf die Vermittlung einer eigenen Bleibe.

Aus- und Übersiedler wiederum müssen sich mehrheitlich in die Wohnungen von Verwandten quetschen, „häufig unter unzumutbaren Umständen“. Zehn Personen in einer Zwei-Zimmer -Wohnung, und dies über Monate, sei keine Seltenheit.

Auch ein Blick in die Schulen zeigt, wie nahezu zwangsläufig bei der einheimischen Bevölkerung jene Reaktion gegenüber den Neuankömmlingen provoziert wird, die eine Betreuerin so beschreibt: „Im Vordergrund stehen Ablehnung, Unverständnis und Neid.“ Da werden Aussiedlerkinder im Grundschulalter, weil die Förderklassen nicht ausreichen, in die bestehenden Regelklassen gesetzt, auch wenn sie kein Wort deutsch sprechen. Eltern lasten den Aussiedlern dann das mangelnde Fortkommen ihrer Sprößlinge an.

Öffentlich verwalteter Mangel, allseitige Konkurrenz - die sozialen Probleme werden in den nächsten Jahren nicht abnehmen, sondern sich eher verstärken, hieß es in Bonn. Die Zahl der DDR-Übersiedler werde sich zwar vermutlich verringern, so die Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), die Zahl der Aussiedler hingegen nicht. Bis zum Ende diesen Jahres werden insgesamt 400.000 Aussiedler und 300.000 Übersiedler eingereist sein.

Entgegen offiziellen Verlautbarungen stellt sich auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Aus- und Übersiedler nicht rosig dar. Eine Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft, im Auftrag der Bundesregierung verfaßt, hatte noch vor kurzem von der volkswirtschaftlichen „Blutauffrischung“ durch den Zustrom neuer Arbeitskräfte und Konsumenten geschwärmt. Ein Mitverfasser der Studie, der Ökonom Bernd Hof, meldete in Bonn bereits Zweifel an dieser Prognose an. Rund 300.000 Aus- und Übersiedler seien jetzt arbeitslos, wenn man jene mitrechne, die vorerst in Kursen eine Warteschleife drehen. Die „Bugwelle“ dieser Arbeitssuchenden werden den Arbeitsmarkt im kommenden Jahr erreichen.

Der verbreitete Eindruck, Aus- und Übersiedler würden bei der Arbeitssuche bevorzugt, gebe eben „nur die halbe Wahrheit“ wieder, so auch die Bilanz beim Diakonischen Werk. Zahllose Arbeitsangebote richten sich zwar speziell an diese Gruppen, aber oftmals „mit unzumutbaren Arbeitsbedingungen“, wie eine Nürnberger Sozialarbeiterin beobachtet hat.

Staatssekretär Horst Waffenschmidt, im Innenministerium zuständig für Aussiedlerfragen, hatte beim Hearing vor allem flotte Sprüche parat. Zur Lösung der Unterkunftsfrage meinte er: „Nächste Woche fahren wir in die USA und kaufen 10.000 schöne mobilhomes.“