Der Drache darf jetzt auch nach Westen gucken

■ Kinder- und Jugendbücher in der DDR und BRD / Eine Tagung in Bremen / Bilanz: Vor allem Gemeinsamkeiten / Weiblicher Sprachgebrauch „piepe“

Als die Kinderbuch-Tagung zwischen - und vor allem von - Ost und West geplant wurde, ahnte man noch nichts vom Berliner Mauerbruch; die Kontakte waren zuvor schon da. Um so interessanter waren die Debatten um Kinder- und Jugendliteratur in der DDR, um „Geschichte für junge Menschen“, zu der der „Rote Elefant - Arbeitskreis Kinder -Bücher-Medien“ am Wochenende nach Bremen geladen hatte. Es kamen ost- und westdeutsche KinderbuchschreiberInnen, KritikerInnen, BibliothekarInnen, WissenschaftlerInnen.

Kontroversen, das versicherten gestern in einem Gespräch mit der taz TeilnehmerInnen aus der DDR und der BRD, gab es nicht zwischen Ost und West, sondern eher quer dazu: Soll das Thema, der Inhalt im Vordergrund stehen oder die ästhetische Form des Buches? Wie sieht die Faschismus -Bewältigung in den Büchern aus,

und welche Grenzen haben einerseits die offensiv-erklärt -anti- faschistische DDR-Tradition, die nur den kommunistischen Widerstand kennt, gegen die andererseits verdrängend -zaghafte BRD-Weise mit dem 20. Juni und den Geschwistern Scholl. „Eine einseitige Auseinandersetzung, das gleiche Verfahren mit verschiedenen Inhalten“, kritisierte Dr. Sabine Mähne, Leiterin des DDR-Zentrums für Kinderliteratur.

Es sei schwierig gewesen, sich überhaupt gegenseitig zu informieren: Die Kinder- und Jugendbücher sind im je anderen Staat kaum zu bekommen. „Für den Michael Ende mußte man einen Buchhändler schon gut kennen und noch ein halbes Pfund Kaffee dazulegen“, erzählte DDR-Kinderbuchautor Peter Abraham.

Was in den DDR-Büchern zu kurz komme, fanden die Gäste aus dem Osten, sei etwa die litera

rische Methode, Eltern oder Großeltern zu fragen: Wie war das früher bei euch? Und ein großes Defizit machte Claudia Rouvel, Redakteurin der Ostberliner „Beiträge zur Kinder und Jugendliteratur“, im Frauenbereich aus: „Große Frauengestalten kommen

bei uns kaum vor, wenn, dann immer als Revolutionärin. Rosa Luxemburg gleich fünfmal. Da hat der Feminismus in der BRD viel mehr freigelegt.“

Thema Stehvermögen und Zensur: Gemeinsamkeiten. Was den einen Lektor und Verleger

und im Zweifel der Markt („Der Leser kauft sowas nicht“) sind, sind - oder waren - den anderen die Funktionäre, die auf geschichtskonforme Darstellungen achteten und oftmals von den AutorInnen den gewaltsamen „harmonischen Schluß“ eines Buches,

wo alles wieder gut wird, erzwangen.

Was wird sich jetzt, nach dem Mauerdurchbruch, ändern? Erst mal gibt es mehr Papier. Der Dietz-Verlag hat ans Kinderbuchzentrum schon Papier-Kontingente abgegeben. Und „wir brauchen eine Qualifikation der Kritik“, fand DDR -Redakteurin Claudia Rouvel, „wir haben die Zensur doch verinnerlicht! Da muß es auch um Form gehen, ohne Angst, daß negative Kritik politisch gegen den Autor verwendet wird.“

Ab jetzt können auch Ost-West-Geschichten geschrieben werden. Ab jetzt darf, so Peter Abraham, in einem Kinderbuch über Berlin der Drache auch mal auf den westlichen Teil gucken. Jetzt wird es Bücher geben, in denen die Vergangenheit vorkommt, wie sie war, etwa den Rausschmiß von Andersdenkenden von der Ossietzky-Schule OstBerlins.

Aber nur mit Westdeutschen zusammen, bekannten die DDR -Gäste, werde dauernd vom weiblichen Sprachgebrauch debattiert. Claudia Rouvel („Ich bin Redakteur“) ist das „piepe“. Susanne Paa