Real-Western und Bonmot-Scharmützel

■ ARD-Reihe mit sieben Independent-Produktionen

Zum Auftakt der Reihe „Junges amerikanisches Kino“ präsentierte die ARD letzten Montag die Beziehungskomödie Nola Darling (She's Gotta Have It) des jungen amerikanischen Regisseurs Spike Lee, neben Jim Jarmush und Cannes-Gewinner Steven Soderbergh der erfolgreichste Filmer der sogenannten amerikanischen Independent-Szene.

Ähnlich wie Steven Soderberghs Peeping Tom-Kolportage Sex Lügen und Video, die nicht nur die Zeitgeistpresse zum Pawlowschen Hund der PR-Slogans degradierte, führen die sechs weiteren, in deutscher Erstaufführung ausgestrahlten Filme, die hierzulande als Erfolgsetikett gehandelte Bezeichnung „Independent“. Mag sein, daß diese in den Jahren von 1982 bis 1987 fernab von den opulenten Fleischtöpfen Hollywoods entstandenen Filme mit Budgets auskamen, für die bei herkömmlichen Produktionen gerade der Koks für die Crew eingekauft wird. Doch man erweist den „Independents“ keinen Gefallen, erklärt man diesen Begriff allzu voreilig zum Gütesiegel.

So kann man sich bei der Durchsicht der zwar thematsch recht vielfältig gehaltenen ARD-Reihe dennoch des Eindrucks nicht erwehren, das Stigma „Independent“ wirke sich hemmend auf die künstlerische Freiheit der Filmemacher aus, sind doch weniger potente Geldgeber als die großen Hollywood -Mogule vielleicht noch stärker auf den wirtschaftlichen Erfolg angewiesen.

Entsprechend konventionell erscheint denn auch Leon Ichasos sozialkritische Studie Zerbrechliche Träume (Crossover Dreams) über das spanische Salsa-Milieu East Harlems, der heute um 23 Uhr zu sehen ist. Als ein mondäner Studioboß den Latino-Trend wittert, ködert er den beflissenen Musiker Rudy Veloz (Ruben Blades), der sich im Zuge dieser Culture -Exploitation mit allen Freunden überwirft und nach kurzem Jet-Set-Rausch ohne seine traditionellen Verwurzelungen kein Bein mehr auf die Erde bekommt. Die traditionelle Geschichte ist ebenso konventionell wie solide abgedreht. Man sehnt sich nach Scorseses FrühwerkMean Streets, mit dem der Italoamerikaner in diesem Genre die Maßstäbe setzte.

Philipp Kochs Postpunk-Collegeromantik-Komödie Pink Nights (am 2.12. um 16.05 Uhr) ist zwar besser als die einschlägigen Teeny-Klamotten a la Eis am Stiel, dennoch muß man sich irgendwann einmal fragen, was das denn soll?

Halbwegs überzeugen kann immerhin Der Kampf um die grüne Lagune (A Flash of Green, 8.12, 23.50 Uhr), der zum Glück kein reißerischer Ökothriller, sondern eine atmosphärisch einfühlsame Studie über eine kleine Küstenstadt in Florida ist, deren Einwohner ihre malerisch schöne Bucht einem lukrativen Tourismusgeschäft opfern.

Zwei glatte Volltreffer indes plaziert die ARD mit Michael Fields tranceartigem Real-Western In der Mittagsglut (Noon Wine, 4.12., 23 Uhr) und Jill Godmilows fiktiver Gertrude Stein-Biographie Warten auf den Mond (Waiting for the Moon), am 11.12. um 23 Uhr.

Im Mittelpunkt dieser pointierten Literaturreise durch das Frankreich des ersten Weltkriegs steht die symbiotische Beziehung der amerikanischen Schriftstellerin zur Kochbuchautorin Alice B. Toklas. Ein „literatisches“ Verhältnis, das sich in zynischen, tautologischen Bonmot -Scharmützeln niederschlägt, derweil Berühmtheiten wie der Drogendichter Guillome Appollinaire und der ewig betrunkene Ernest Hemingway ihren Weg kreuzen.

Haben sich in der von Worten übervölkerten Welt der Dichter dieselben nichts mehr von Bedeutung zu sagen, so werden ein paar angespitze Worte über Kautabak in In der Mittagsglut zur schicksalauslösenden Bedrohung. Kein Wunder, denn auf der kleinen, heruntergekommenen Milchfarm der Thompsons ist die Sprache ein mysteriöses Ding. Als dort eines Tages der asketisch-verschrobene, menschenscheue Emigrant Olaf Helton auftaucht und die Farm mit übermenschlicher Energie auf Vordermann bringt, löst schon die geringste Bemühung, den geheimnisvollen Schweden aus seinem Exil der Sprachlosigkeit zu befreien, eine innere Not bei diesem aus.

Die Darstellung des apathischen Schweden (Stellan Skarsgard, der bereits in der interessanten „Pelle der Eroberer„-Version Der einfältige Mörder von Hans Alfredson brillierte) ist schlichtweg genial und verdichtet das historisch-realistische Kammerspiel zu einem Understatement-Psychothriller. Autorenkino at its best.

Die Reihe schließt mit Winternacht (Rachel River, 18.12., 23 Uhr) von Sandy Smolan. Die Filme werden in O-Ton und Synchronfassung (Zweikanal-Ton) ausgestrahlt.

Manfred Riepe