Je niedriger die Bildung, desto höher der Drill

Der Frankfurter Arzt Peter Augst zum sogenannten „Soldaten-Urteil“ und zum neuen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Augst, nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt haben Sie während einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern die Bundeswehr, insbesondere den anwesenden Hauptmann Witt beleidigt. Allerdings seien ihre „ehrverletzenden Äußerungen“ nicht strafbar, weil vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Wollten sie ausloten, wieviel Artikel 5 GG zuläßt?

Peter Augst: Nein. Mir ging es darum, die Verantwortung auf den einzelnen Soldaten zurückzuführen, deutlich zu machen, daß er sowohl Täter als auch Opfer ist. Denn das System von Befehl und Gehorsam bewirkt, daß der einzelne Soldat im „Ernstfall“ massenweise töten wird. Und da wollte ich auch den anwesenden Hauptmann Witt konkret einbeziehen. Ich wollte den Jugendlichen klarmachen, daß dieser Hauptmann im „Ernstfall“ befehlen würde und ihnen nichts übrig bliebe, als zu gehorchen oder zu desertieren.

Zu ihrer Formulierung, daß es bei der Bundeswehr einen „Drill zum Morden“ gebe, hat das Gericht ausgeführt, daß sich dadurch „eine demokratisch, rechtsstaatliche Armee in ihrer Wertschätzung durch die Bürger und in ihrem ethischen Selbstverständnis beeinträchtigt fühlen“ könne.

Ich wollte den angehenden Wehrpflichtigen klar machen, daß das Ausbildungssystem bei der Bundeswehr - die US-Armee, die Nationale Volksarmee oder die Rote Armee kenne ich nicht die natürliche Tötungshemmung herabsetzt, zu Desensibilisierung führt - was vom militärischen Denken her notwendig ist. Dazu steht in der AirLand-Battle-Doktrin, daß die Hinwendung der Jugend zu Computerspielen ausgenutzt werden muß. Die heutigen Formen der Konditionierung sind also subtiler als der traditionelle Drill. Trotzdem gilt noch heute: Je niedriger der Bildungsstand, desto höher der Drill.

Müßten sich Ihre Äußerungen angesichts zivil-militärischer Zusammenarbeit oder der Notstandsgesetzgebung nicht auch auf die Behörden beziehen?

Ich habe kein Problem damit zu sagen „alle Menschen sind potentielle Mörder“ - für so eine allgemeine Äußerung würde mich allerdings kein Mensch vor Gericht zerren. Es hat damit zu tun, daß ich konkret den einzelnen Soldaten in die Verantwortung nehmen will. Davor haben die Verantwortlichen in den traditionellen Parteien Angst, daß die Soldaten sagen „mit mir nicht“, daß eine Bewegung von unten entsteht, die Soldaten weglaufen.

Sie sollen Ihre umstrittene Äußerungim Fernsehen wiederholt haben. Die Anwaltschaft hat ein neues Verfahren eingeleitet.

Die Pressemeldung ist falsch, ich habe meine Äußerungen nicht wiederholt. Das ist auch gar nicht nötig, denn ich kann mich ja jederzeit auf meine damaligen Aussagen beziehen. Und das tue ich auch. es hat ja seit damals (Sommer 1984, d. Red.) keine Veränderung der Waffen, in der Abschreckungstheorie oder beim Abbau der Tötungshemmung gegeben. Offiziell ist mir von einem neuen Ermittlungsverfahren gegen mich nichts bekannt. Mir liegt lediglich ein Brief von RTL-Plus vor, in dem der Sender schreibt, sich nicht erklären zu können, wie mein folgender, vom 'Kölner Stadtanzeiger‘ aus der Fernsehsendung zitierter Satz nach Auffassung der Kölner Anklagebehörde zu einem begründeten Anfangsverdacht im Sinne von Paragraph 130 StGB (Volksverhetzung) führen könne: „Ich wende mich besonders an die jungen Wehrdienstleistenden, ich sehe sie als Opfer und Täter in einem: Sie sind verpflichtet, die Waffen abzuschießen, die massenhaft Menschen vernichten - es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, weil sie dem Prinzip von Befehl und Gehorsam unterlegen sind“.

Ich denke, das Verfahren wird eingestellt werden, aber es offenbart, mit welcher Vehemenz die Staatsanwälte zu Werke gehen.

Interview: Uwe Rosentreter