: In Beirut stehen die Zeichen auf Sturm
■ Neues libanesisches Kabinett beschloß Regierungsprogramm / Elias Hrawi im Eilverfahren zum Präsidenten gewählt General Michel Aoun spricht von Tragikomödie / Presse sieht erhöhtes Risiko eines bewaffneten Konflikts
Beirut (afp) - Die am Samstag gebildete libanesische Regierung der nationalen Einheit unter Ministerpräsident Selim Hoss hat am Sonntag auf ihrer ersten Sitzung ein Regierungsprogramm auf der Basis des Friedensabkommens von Taif beschlossen. Das Programm wurde anschließend von den 43 anwesenden Parlamentariern einstimmig verabschiedet. Der neue libanesische Präsident Elias Hrawi, der am Freitag abend im Eilverfahren gewählt worden war, nahm an der Zusammenkunft in Schtaura in der syrisch besetzten Region des Landes teil.
Die Regierung will bei der Umsetzung ihres Programms „vor keinem legalen Mittel zurückschrecken“. Sie verpflichtet sich, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Zustand der Teilung zu beenden, erklärte Hoss. Drei der neuen Minister nahmen nicht an der Kabinettssitzung teil. Es handelte sich um die beiden christlichen Abgeordneten George Saade und Michel Sassin, sowie um Nabih Berri, den Chef der prosyrischen Amal-Miliz. Saade, Chef der größten christlichen Partei, Phalange, hatte die Entscheidung darüber, ob er sein Amt antritt, dem Politbüro seiner Partei vorbehalten.
Hoss hatte für sein Kabinett sieben Christen und sieben Moslems benannt, darunter neun Abgeordnete des libanesischen Parlaments. Mit dem Drusenchef Walid Dschumblatt und Amalchef Berri sind die beiden wichtigsten Verbündeten Syriens in der Regierung vertreten. Die Zusammensetzung der Regierung wurde in der Nacht zum Samstag wenige Stunden nach der Wahl Hrawis bekanntgegeben, der den von seinem Vorgänger Moawad erteilten Auftrag zur Regierungsbildung an Hoss erneuert hatte.
Die Entschlossenheit Hrawis, es mit dem Chef der christlichen Militärregierung Michel Aoun aufzunehmen, kam schon in seiner Antrittsrede zum Ausdruck: „Unser Marsch wird nicht aufzuhalten sein, durch welche Hindernisse auch immer, und er wird diejenigen zerschlagen, die sich ihm in den Weg stellen.“ General Aoun nannte die Wahl Hrawis eine „Tragikomödie“, die „den Zustand der Panik im syrischen Regime Libanons“ zeige. Aoun hatte auch die Wahl des am Mittwoch ermordeten Präsidenten Moawad nicht anerkannt und die Unterzeichner des Taifer Abkommens als „Verräter“ bezeichnet.
Die libanesische Presse sprach am Wochenende einhellig von einem erhöhten Risiko eines bewaffneten Konflikts. „Militärische Konfrontation oder Teilung“ seien die einzigen Alternativen, kommentierte das Aoun nahestehende Blatt 'Ad -Diyar‘. Die neue Regierung habe es sich zum Ziel gesetzt, „General Aoun den Todesstoß zu versetzen“, wenn er nicht zum Rücktritt bewegt werden könnte. Das dem christlichen Lager zuzurechnende Blatt 'Al-Anwar‘ schloß einen möglichen Angriff der syrischen Armee gegen das „Christenland“ nicht aus. Die Regierung Hoss habe bereits begonnen, „die Kriegstrommeln zu rühren“. Für die prosyrische Zeitung 'As -Safir‘ ist „die Entscheidung für eine Konfrontation bereits gefallen“. Die Damaskus nahestehende Zeitung 'As-Schark‘ rief Hrawi auf, „den Krebs, der Libanon in seiner Einheit und seiner arabischen Zugehörigkeit bedroht, auszumerzen“.
Der neue libanesische Präsident unterhält gute Beziehungen zu Damaskus. Er ist vor allem dafür bekannt, daß er kein Blatt vor den Mund nimmt. Elias Hrawi wurde 1926 in Zahle geboren, der größten von Christen bewohnten Stadt in der Bekaa-Ebene. Er ist Großgrundbesitzer und unterhält gute Geschäftsbeziehungen zu arabischen Ländern. Seit 1972 ist er Abgeordneter von Zahle, von 1980 bis 1982 war er Minister für öffentliche Arbeiten. Hrawi ist Gegner des konfessionellen Proporzsystems im Libanon. Im Mai 1983 befürwortete er das Friedensabkommen zwischen Libanon und Israel, doch stimmte er im Dezember 1985 auch für das Drei -Parteien-Abkommen zwischen libanesischen Bürgerkriegsparteien, das unter Syriens Ägide zustande gekommen war.
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