: „Moderneres Deutschland DDR“
Auch BDI-Chef Tyll Necker kam zum Neuen Forum / Opposition sucht jetzt die Vernunft der Werkshalle ■ Aus Ost-Berlin Dietmar Bartz
„Ihre kreativen Kräfte sind viel größer, als Sie glauben. Sie müssen sie nur wecken! Wir sind nicht besser, wir sind fauler. Bei Ihnen wird mehr gearbeitet als bei uns... Sie haben jetzt die Chance, das modernere Deutschland zu werden!“
Euphorisch war die Ansprache von Tyll Necker, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), auf einer Tagung der DDR-Oppositionsgruppe Neues Forum am Wochenende. Dessen Arbeitskreis Ökonomie hatte die Konferenz kurzfristig organisiert und zum Erfahrungsaustausch über die Reformen in Osteuropa und die Wirtschaftsreform „unter Berücksichtigung der politischen Konstellation beider deutscher Staaten“ eingeladen.
Stargast Tyll Necker, der die Planung als „sozialistisches Auslaufmodell“ bezeichnete, stand mit seinem Plädoyer für den Markt nicht allein. Kaum jemand unter den gut zwanzig ReferentInnen mochte sich den Lehren aus der desolaten Lage etwa in Polen oder der Sowjetunion widmen, und auch für die gut 400 ZuhörerInnen waren die Probleme der DDR wichtiger.
Doch so weit wie Necker wollten die zahlreichen DDR -ExpertInnen denn doch nicht gehen - wenigstens ein verbaler Konsens zeichnete sich ab, Markt und Plan zu verbinden und dabei die sozialen Erfolge der DDR zu erhalten. „Die stalinistische Ökonomie hat versagt. Aber wir wollen keine Ellbogengesellschaft a la Thatcher“, formulierte es der Ökonom Pavel Strohner; ein Westberliner Wissenschaftler witzelte: „Es fließt nicht nur der Neckar, sondern auch andere Ströme in der BRD.“ Und Mitveranstalter Ingo Klein von der Hochschule für Ökonomie führte grundsätzlich aus: „Für die Verbindung eines effizienten Marktes und sozialer Sicherheit haben wir auf absehbare Zeit keine ausreichende Produktivität.“
Von der Wirtschaftsreform verlangt Klein eine Definition des Verhältnisses von zentraler Planung zum Markt, eine Preisreform mit Orientierung am Weltmarkt, eine Lohn- und Einkommensreform nach dem Leistungsprinzip, eine Währungspolitik mit Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft und eine stärkere Nutzung der Arbeitsteilung.
Auch Betriebspleiten seien akzeptabel, und die DDR benötige ein Konkursrecht, Sozialprogramme etwa zur Umschulung und ein soziales Netz gegen strukturelle Arbeitslosigkeit. „Der Vernunft der Straße muß die Vernunft der Werkshalle folgen“
-zu entwickeln seien deswegen auch neue Strukturen demokratischer Mitbestimmung. Klein ist angesichts großer brachliegender materieller und Wissensreserven „vorsichtig optimistisch.“
Mehrere RednerInnen wiesen darauf hin, daß Markt und Plan nicht gegeneinander diskutiert werden dürften. Zum einen seien auch in der BRD Sektoren wie Landwirtschaft, Energie oder Verkehr zu großen Teilen plan- oder subventionsgesteuert; betriebswirtschaftlich gesehen sei außerdem die Planung kaum irgendwo besser entwickelt als in kapitalistischen Großbetrieben.
Eines der großen Probleme sei aber die Abkehr von Monopolunternehmen und die Herstellung von inländischer Konkurrenz, um Marktmechanismen in der DDR überhaupt zur Geltung kommen zu lassen.
Gefordert wurde auch die Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank, deren Geldpolitik auf Preisstabilität oder mindestens Dämpfung der befürchteten Inflation gerichtet sei.
Die DDR-WissenschaftlerInnen stimmten weitgehend darin überein, daß eine Währungsreform jetzt nicht viel helfe und der Wechselkurs der DDR-Mark erst nach deutlichen Erfolgen der Wirtschaftsreform freigegeben werden könne. Der Ökonom und Forums-Aktivist Hans-Joachim Matuschek hat eine konkrete Vorstellung davon, wo diese neue Zentralbank ihre Arbeit aufnehmen soll: im ehemaligen Reichsbank-Gebäude - dort sitzt das ZK der SED.
Befindet sich Tyll Necker mit seiner Erwartung eines „moderneren Deutschland DDR“ im Konflikt mit Deutschbankier Alfred Herrhausen, der in der letzten Woche öffentlich die Wiedervereinigung gefordert hatte? Der BDI-Chef sieht die Märkte in weiterer Perspektive. Er sei, so Necker, vor kurzem in Moskau gewesen. Und dort herrsche große Angst, daß, wenn die DDR den sozialistischen Block verläßt, darüber Gorbatschow gestürzt wird.
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