Ein Drittel will die Armee abschaffen

In der Schweiz sensationelle Ergebnisse bei der Volksabstimmung über die Abschaffung der Armee / Armeegegner fordern Recht auf Kriegsdienstverweigerung / Anhebung des Tempolimits auf Schweizer Straßen wurde im gleichen Urnengang abgelehnt  ■  Aus Basel Thomas Scheuer

Schlachten mochten Herr und Frau Schweizer die heiligste aller Kühe im Heidi-Land zwar nicht gleich, doch lahmt das symbolträchtige Tier sichtlich: Mit 64,4 zu 35,6 Prozent lehnte das Wahlvolk der Alpenrepublik am Sonntag in einer Volksabstimmung die „Volksinitiative für die Abschaffung der Armee und für eine umfassende Friedenspolitik“ ab. Doch daß immerhin ein sattes Drittel der UrnengängerInnen die Militärs zur Arbeitslosigkeit vergattern wollten, ist als politische Sensation zu werten.

In den zwei französischsprachigen Kantonen Genf und Jura konnten die Armeegegner gar Mehrheiten für ihre Initiative verbuchen (Jura 55,5, Genf 50,4 Prozent). Im deutschsprachigen Grenzkanton Basel-Stadt fiel die Mehrheit für die Armee mit 54,9 Prozent sehr knapp aus. Dabei lag die landesweite Stimmbeteiligung mit 68,6 Prozent doppelt so hoch wie üblich. Armeebefürworter hatten im Abstimmungskampf einen Anteil von 20 Prozent Anti-Armee-Stimmen als „Schmerzgrenze“ bezeichnet. Andernfalls werde die abschreckende Wirkung des eidgenössischen Wehrkonsenses sinken.

Doch weit schmerzlicher empfinden die Kommißköpfe nun das innenpolitische Mißtrauensvotum. Im Rahmen der für 1995 geplanten Armeereform, so beeilte sich Verteidigungsminister Kaspar Villiger anzukündigen, werde man die Kritik der Armeegegner berücksichtigen. Den hohen Anteil an Anti-Armee -Stimmen erklärte der Minister mit der „internationalen Lage, welche zur Zeit erfreulicherweise durch Entspannung charakterisiert wird“, sowie mit sogenannten Denkzettelwählern.

Peinlich fiel der Urnengang auch für das Parlament aus, das sich in dieser Schlüsselfrage als wenig repräsentativ erwies: Nur 13 der 246 Abgeordneten hatten bei einer Stellungnahme für die Armeeabschaffung gestimmt. Als „schallende Ohrfeige für die Betonköpfe“ wertete Adrian Schmid von der „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ (GSoA) das unerwartete Abstimmungsergebnis.

Die GSoA hatte die Volksabstimmung per Unterschriftensammlung erzwungen. Als eine Konsequenz des Ergebnisses verlangt die GSoA nun die längst überfällige Einführung eines echten Zivildienstes für Kriegsdienstverweigerer. Die Schweiz verweigert als einziges „westeuropäisches“ Land neben der Türkei ihren Bürgern nach wie vor das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Verweigerer werden in der Regel zu Gefängnisstrafen verurteilt - und zwar von Militärgerichten. Die Abschaffung der Militärjustiz ist denn auch eine weitere Forderung der Armeegegner. Mit einer Vorlage zur Entkriminalisierung von Verweigerern befaßt sich demnächst das Parlament. Die Sozialdemokratische Partei forderte am Sonntag abend eine Senkung der Rüstungsausgaben und darüber hinaus einen Verzicht auf umstrittene Beschaffungsprojekte.

Auf dem zivilen Schlachtfeld Straße gelten übrigens in der Schweiz weiterhin die bestehenden Kampfregeln: Eine Initiative, die die Heraufsetzung der Höchstgeschwindigkeiten von 80 auf 100 für Landstraßen und 120 auf 130 Stundenkilometer für Autobahnen verlangt hatte, wurde ebenfalls mit 62 zu 38 Prozent abgelehnt.