„Wir ergreifen eure Hand“

■ Ein Polizeileutnant macht vor Hunderttausenden die Parteiführung für Übergriffe vom 17.11. verantwortlich

„Wir empfinden es als Tragödie, daß wir uns als Instrument zur Verhinderung demokratischer Reformen haben mißbrauchen lassen.“ Polizeileutnant Ludvic Pinc, der an der brutalen Auflösung der Prager Studentendemonstration am 17. November teilgenommen hatte, gestand am Sonntag den in der Prager Innenstadt versammelten Hunderttausenden von seinem Podium: „Wir bedauern, daß es zu diesen Ereignissen gekommen ist und daß wir gegen die Bürger vorgegangen sind.“

Der Polizist, der zunächst mit Pfiffen von der Menge empfangen worden war, war gekommen, um den Demonstrierenden zu erklären, wer für die Polizeigewalt im Lande verantwortlich sei. Pinc betonte, daß die Befehle von „den hohen Vertretern der Kommunistischen Partei“ gekommen seien. Nicht alle Polizisten dürften daher über einen Kamm geschoren werden.

In den vorangegangenen drei Tagen hatte die staatliche Fernsehanstalt wiederholt Videoaufnahmen der Polizeiübergriffe vom 17.November gezeigt. „Seit jenem Tag spüren wir den tiefen Haß, den die Bevölkerung uns entgegenbringt.“

Der unerwartete und nicht genehmigte Auftritt von Pinc vor den Demonstranten war einer der Höhepunkte der Entwicklungen seit der letzten Woche. Seine Äußerungen könnten für ihn schwerwiegende Folgen haben, so Pinc, denn „wenn Angehörige der Polizei ihre Order nicht befolgen oder den Gehorsam verweigern, drohen ihnen lange Haftstrafen“. Diese Äußerung wurde von den Hunderttausenden mit Pfiffen geahndet, die nicht dem jungen Leutnant, sondern seinen Vorgesetzten galten. „Was wir jetzt wollen, ist unsere Zustimmung ausdrücken zu den demokratischen Reformen in unserem Land. Vor allem aber, das sage ich hier ausdrücklich, bedauern wir, die Mitglieder der motorisierten Einheit, zutiefst die unverantwortliche Haltung unserer Parteioberen, die uns gegen unser Volk aufgehetzt haben. Die Studenten haben uns die Hand gereicht. Wir ergreifen diese Hand“, fügte er unter dem Applaus der Demonstranten hinzu.

taz