AL systematisch ausspioniert

12 V-Leute des Berliner Verfassungsschutzes waren auf die AL angesetzt / Auch VS-Kontrolleur gezielt ausgespäht  ■  Aus Berlin Wolfgang Gast

Die Alternative Liste in Berlin ist seit ihrer Gründung vom Berliner Verfassungsschutz (VS) systematisch ausgeforscht worden. Das belegt ein Bericht der „Projektgruppe Verfassungsschutz“, den der Berliner Innensenator Pätzold den Mitgliedern des parlamentarischen Ausschusses für Verfassungsschutz Ende letzter Woche übergeben hat. Aus einem weiteren der taz vorliegenden Bericht der Projektgruppe, die nach dem Regierungswechsel im Frühjahr zur Ausmistung des Geheimdienstsaustalls eingesetzt wurde, geht auch hervor, daß Pätzold selbst in seiner Eigenschaft als früherer VS-Kontrolleuer gezielt vom V-Mann des Berliner Landesamtes Steffen Telschow ausspioniert wurde.

Die Bespitzelung der Alternativen Liste war umfassend. Bis 1987 waren 12 V-Leute und ein „Under-cover-agent“ auf die AL angesetzt - bereits bei der Gründungsversammlung am 5.Oktober 1978 war ein Spitzel des VS zugegen und lieferte dem Amt seinen Bericht. Bis 1987 wurden insgesamt mehr als 50 Berichte angefertigt, die beim VS unter der Aktenstelle „Infiltration der Alternativen Liste“ chronologisch geführt wurden. Fortsetzung auf Seite 4

Dokumentation auf Seite 8

Darüber hinaus wurden beim VS aber auch eine personenorientierte AL-Hinweiskartei und eine sachorientierte AL-Strukturdatei eingerichtet. Zuletzt waren am 7.April 1989 1.173 Personen erfaßt, „bei denen eine Affinität zur AL bestand oder vermutet werden konnte“. In ihrem Bericht ziehen die Autoren den Schluß, daß die „Akte ein nahezu lückenloses Bild über die auch innere Entwicklung der Partei bis in die Gegenwart hinein vermittelt“. Beide Dateien werden beim Landesamt auch heute noch geführt.

Der Einsatz der V-Leute wurde anfangs damit begründet, daß linksextremistische Gruppen Einfluß auf die Alternative Liste gewinnen wollten. Aber bereits im Februar 1980 entschied der damalige Innensenator Peter Ulrich (SPD), daß „eine Einschleusung von Quellen in die AL nur dann zulässig sei, wenn es sich um Personen handelt, die als Mitglieder oder sonstige Innenquellen in extremistischen Gruppierungen über deren Einflußnahme auf oder die Mitarbeit in der AL berichten könnten“.

Unabhängig davon entschied dann 1981 Amtsnachfolger Heinrich Lummer (CDU), zwei V-Leute, die seinerzeit als Mitglieder der zwischenzeitlich aufgelösten KPD zur AL gestoßen waren, weiter als V-Leute zu führen. Dabei sei „er sich der politischen Brisanz eines derar

tigen Vorgehens mit nachrichtendienstlichen Mitteln“ sehr wohl bewußt gewesen. Bedenken der zuständigen Referatsleiter im VS, so die Projektgruppe, wurden von Lummer vom Tisch gefegt.

Über die mehr als 50 Berichte hinaus erstellte der Verfassungsschutz zwei umfangreiche „grundsätzliche Ausarbeitungen über die AL“. Die erste wurde im August 1984 vom heutigen Leiter der Spionageabteilung Osswald in zehnmonatiger Arbeit angefertigt. In dem 283-Seiten-Werk behauptete Osswald, der zuvor thematisch nie mit der AL beschäftigt war, daß die AL Gewalt befürworte und letztlich „verfassungsfeindliche Ziele verfolge“. Die Studie selbst wurde sogar im VS im verborgenen gehalten, und ihre Ergebnisse fanden nur in der Wahlkampfbroschüre Lummers „rot + grün chaos“ Eingang.

Die zweite Studie wurde dann 1987 unter der Ägide des glücklosen Lummer-Nachvollgers Wilhelm Kewenig (CDU) erarbeitet. Sie kam zu dem Schluß, daß die AL keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolge. Ein Ende der Überwachung bedeutete sie aber nicht. Weshalb diese Studie anschließend vernichtet wurde, konnte die Projektgruppe auch nach Befragung der zuständigen Mitarbeiter nicht klären.

„Für heute“, resümiert der Bericht, „ist lediglich festzustellen, daß V-Leute aus dem Bereich der AL nicht mehr berichten“. Die Akte „Infiltration der AL“ wäre weder überprüft noch umfassend bereinigt worden. Im Gegenteil werden „viel

mehr zu dieser Akte auch heute noch Informationen genommen, die keine Infiltration erkennen lassen“. Der letzte V-Mann ist dem Bericht zufolge erst im Dezember letzten Jahres „abgeschaltet worden“.

Im Komplex um die Ausforschung des früheren VS-Kontrolleurs und heutigen Innensenators Pätzold kommt die Projektgruppe in einem gesonderten Bericht zu dem Schluß, daß das Landesamt „mit Billigung des Abteilungsleiters zielgerichetet die Ausforschung“ betrieben hat. In den wiederholten Stellungnahmen des VS, daß sich der V-Mann Steffen Telschow „ohne das Wissen und Auftrag des Landsamtes“ im Vorfeld der letzten Wahlen an Pätzold gewandt habe, um dessen Wissen über die VS-Sauereien auszuloten, könne nur „der Versuch einer bewußten Irreführung der Öffentlichkeit gesehen werden“.

Der VS hatte den Fall Telschow solange geleugnet, bis sich der V-Mann in einem taz-Interview selbst enttarnte. Bis dahin hatte auch Dienstherr Kewenig vor der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) abgestritten, der VS habe jemanden auf das PKK-Mitglied Pätzold angesetzt. Dieses Verhalten, so die Projektgruppe, „wirft auch ein bezeichnendes Licht auf das Verständnis des Landesamtes gegenüber dem parlamentarisch berufenen Kontrollorgan“. Besonders, „daß sich der Referatsleiter Beschaffung (...) dem Fall nicht mit besonderer Aufmerksamkeit gewidmet hat“.