Strafanzeigen wegen Ostertoreinsatz

■ „Ist es richtig, eine 15jährigen auf vagen Verdacht hin über drei Stunden in Haft zu nehmen und ihm das Telefonieren zu verbieten?“

Als einen „ungeheuerlichen Rechtsbruch, politisch saudumm und ein Lehrstück in Sachen Demokratie“ wertete Roderich Wahsner, Hochschullehrer und Jurist an der Uni Bremen gestern die Polizeieinsätze vom 19.November (vgl. taz v. 21.11). Wahsner weiß, wovon er spricht. Als Augenzeuge beobachtete er am späten Sonntag abend, wie Beamte gegen 22 Uhr 30 das Antifa-Cafe in der Buchtstraße mit gezogenem Knüppel aufsuchten, die etwa 40 Anwesenden eine Stunde lang mit teilweise schikanösen Mitteln festheund m Abziehen eine Tränengasgranate zündeten, deren beißende Rauchschwaden die BesucherInnen zur überstürzten Flucht über den Notausgang zwang.

Die Naturfreundejugend, in deren Räumen das Cafe untergebracht ist, beauftragte Rechtsanwalt Reinhard Engel, Strafanzeige gegen Unbekannt zu stellen. Auf Körperverletzung im Amt, Sachbeschädigung und Nötigung sollen diejenigen verklagt werden, die für den Einsatz verantwortlich sind. Im Rahmen einer zivilrechtlichen Klage soll zudem ein Antrag auf Schadenersatz in Höhe von 1750 Mark gestellt werden.

Gegen den mittlerweile namentlich bekannten Beamten, der die Granate gezündet hat, sind auf Anweisung von Polizeipräsident Rolf Lüken Ermittlungen eingeleitet worden. Gegenstand der internen Untersuchungen wird vor allem die Frage sein, wie der Beamte an das Gas gekommen ist. Feststehe, so verlautete es gestern aus der Polizeipressestelle, daß „der CN-Einsatz nicht angeordnet war“.

Auch für die Untersuchung der Umstände bei den Massenverhaftungen von Jugendlichen im Ostertor hat der Polizeipräsident die Devise ausgegeben, daß insbesondere Verstöße gegen die Festnahme-Vorschriften „auf Punkt und Komma nachzuprüfen“ seien. Diejenigen Jugendlichen und Eltern, die gestern ihre Gedächtnisprotokolle von den Ereignissen vorstellten berichteten davon, daß Beamte Festgenommene geschlagen hätten, sich splitternackt ausziehen und Stunden im Polizeigewahrsam bleiben mußten, ohne mit ihren Eltern telefonieren zu dürfen. In einem Brief an Innensenator Sakuth fragt der Vater eines 15-jährigen, stellvertretend für andere Eltern: „Ist es richtig, einen 15jährigen auf einen vagen Verdacht hin über 3 Stunden in Haft zu nehmen und nachts um 1 Uhr mit Handschellen zu befördern? Es wurde meinem Sohn nicht erlaubt zu telefonieren. Hatte er nicht das Recht dazu?“

„Unmenschlich“ befand die Mutter eines ebenfalls verhafteten 15jährigen Mädchens dieses Vorgehen: „Ich weiß gar nicht, wie man auf solche Ideen kommen kann“. Der grüne MdBB Martin Thomas will über die heutige Sitzung der Innendeputation Senator Sakuth zu dienstrechtlichem Vorgehen auffordern, um „Freiheitsberaubung“ dieser Art disziplinarisch zu ahnden.

Andreas Hoetzel

Siehe auch Dokumentation S.18 und Kommentar