Brigadiere, auf nach DD-ragua!

■ Studenten-Brigade „4. November“ will in den kommenden Semesterferien in der DDR arbeiten / Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaften warten schon auf West-Helfer / Umsonst arbeiten oder doch „Lohnausgleichskassen“?

Komisch. Sobald es um Politik geht, werden Klamotten grau. Auch am letzten Montag in der TU, als zwei Dutzend StudentInnen ihre „Arbeitsbrigade 4. November“ organisierten. Schwarze Jeans, schwarzer Pullover, dunkelbraunes Jacket, rotgraues Sweat-Shirt oder blaugraues, dunkle Wildleder-Jacke - triste Farben, ernste Gesichter und hehre Pläne: Sechs Wochen Semesterferien wollen sie in der DDR arbeiten - helfen beim zweiten Anlauf, einen deutschen Sozialismus mitaufzubauen.

Das doppelte Akadamiker-Dutzend will „der Volksbewegung in der DDR auf ihrem Weg helfen, mitanfassen bei der Bewältigung der akuten Versorgungsprobleme in der DDR“.

Von der ersten Begegnung mit der DDR-Administration erzählt zu Beginn ein studierender Anfangzwanziger: „Der Stadtrat für Arbeit und Löhne war ganz scharf drauf, unser Flugblatt abzulichten.“ Bei zwei landwirtschaftlichen Produktions -Genossenschaften (LPG) hatte sich gar ein Vierzigjähriger („Ich bin Publizist“) erkundigt: „Die waren begeistert. Ich bin gleich ein paar Stunden hängengeblieben. Die diskutierten gerade Flugblätter von Autonomen aus Kreuzberg.“ Nur konnten die LPGs genauso wenig wie der Regierungsbeamte Konkretes sagen.

Daß aber die Studenten auf den Goodwill DDR-Regierender warten müssen, hinderte sie vorgestern nicht, sich schon vorab Gedanken zu machen. Der Publizist problematisierte, daß er nicht für fünf Mark-Ost arbeiten könne: „Kann man ja nicht tauschen, kann man nur ein Bier von trinken gehen. Auf Dauer müßte ich von meiner Substanz leben, ich will die Arbeit in der DDR aber nicht auf sechs Wochen determinieren

-a la Nicaragua.“ „Lohnausgleichkassen“ wie vor dem Mauerbau müßten her. „Ist denn das politisch sinnvoll, wenn auch DDRler für West-Mark arbeiten können?“ will ein etwa 30jähriger Student wissen. Für eine Studentin im Twen-Alter, dunkel-gekleidet mit fünfzackigem schwarzen Ohrring, ist die Antwort bereits klar: „Wenn wir den Sozialismus in der DDR aufbauen wollen, kriegen wir doch kein Geld von der Bundesregierung.“

Dann stellt sich sowieso heraus, daß nicht alle sechs Wochen arbeiten wollen. „Da bietet Berlin durch seine geographische Lage einen besonderen Vorteil“, beruhigt ein blonder Endzwanziger in grau-schwarzem Pulli und schlägt „Wochenendarbeit“ vor. „Ist dabei aber die Integration in den Arbeitsprozeß überhaupt noch möglich“, hakt ein anderer nach. Auch Monika, die von einer studentischen Mediziner -Zeitung kommt, schwant da was. Als ein Fragebogen verteilt wird, fragt sie verunsichert: „Meint Ihr bei Ausbildung das Studienfach?“ „Ob Du eine Ausbildung gemacht hast“, weiß die Frau mit dem Polit-Stern am Ohr und schätzt den Wert eines Studiums auf dem derzeitigen DDR-Arbeitsmarkt offensichtlich ziemlich mies ein.

Mancher zögert allerdings noch, seinen Namen in den Fragebogen einzutragen - die Bögen vom ersten Treffen sind nämlich verschwunden. Der Verdacht liegt daher in der Luft, daß der Klassenfeind den Aufbau des Sozialismus in der DDR vielleicht nicht verhindern kann, wenigstens aber die Symphatisanten registrieren will. Bei der Suche nach einer Nummer für ein Kontakttelefon gibt Mediziner-Monika zu bedenken, „daß womöglich mitten in der Nacht die Republikaner anrufen“.

Warum die Arbeitsreise überhaupt in die DDR gehen soll, ist keine Frage an diesem Abend. „Wie bitte? Das liegt doch auf der Hand!“, sagt ein blonder Mittzwanziger auf dem Nachhauseweg. Warum was auf der Hand liegt, will er aber nicht ausführen. Eine junge Philosophie-Studentin erklärt mit ihrer Brigadenarbeit „die materiellen Grundlagen für den politischen Prozeß legen, eine Perpektive für den erneuerten Sozialismus schaffen“. Aber was ist der „erneuerte Sozialismus“? „Grundsatzdiskussion ist doch das nächste Mal“, verweist ein anderer. Vielleicht diskutieren dann auch mal die Ostler mit?

Dirk Wildt