Aidszend!

 ■ S T A N D B I L D

(Unsichtbare Mauern, 27.11., 19.30 Ur, ZDF) Wenn heute ein Film über Aids gedreht wird, darf er nicht hinter den Informationsstand der letzten Jahre zurückfallen. Sicher, im Moment ist es stiller um dieses Thema geworden. Die Weltöffentlichkeit interessiert sich mehr für die politischen Entwicklungen in Osteuropa als für die aktuelle Aids-Statistik. Das Gesundheitsamt rechnet mittlerweile mit 100.000 HIV-Infizierten und etwa 4.000 Aids-Kranke allein in der Bundesrepublik. Und es werden immer mehr. Da kommt ein Fernsehspiel, daß die Aids-Problematik wieder ins Bewußtsein der Zuschauer rückt, genau richtig.

Was das ZDF sich allerdings am Dienstag abend leistete, war graue Steinzeit. Lehrmeisterhaft, angestrengt bemüht und sehr brav kam Wolfgang Mühlbauer mit seinem Aufklärungsfilm daher. Es wurde wieder die alte Mär vom anständigen, ganz „normalen“ Ehemann gesungen, der einmal im Leben untreu war, was er mit einer saftigen HIV-Infektion bezahlen muß. Die Ehefrau ist hell entsetzt, verweigert ab sofort den ehelichen Beischlaf und bringt erstmal sich und das Kind vor dem Ansteckungsherd in Sicherheit. Papa darf dem unschuldigen Kind nicht mal mehr die gewohnte Gute-Nacht -Geschichte vorlesen. Über den entdeckten Seitensprung ist Frau Anni mehr schockiert als über die Gefahr einer tödlichen Krankheit.

Mühlbauer reiht ein gängiges Klischee ans andere. An seinem Arbeitsplatz wird das HIV-Opfer geschnitten und vorübergehend an die Luft gesetzt, die Schwiegermutter weigert sich, ihm die Hand zu geben, im Mietshaus wird er anonym terrorisiert. Doch da wir etwas lernen sollen, wird am Ende alles (fast) gut. Ein verständnisvoller schwuler HIV -positiver Aids-Berater verschafft dem zunächst Uneinsichtigen das rechte Bewußtsein.

Mag sein, daß die Unkenntnis in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch so groß ist, daß in panischer Angst Türklinken und Tische abgewischt werden, die ein HIV -Infizierter berührt hat, aber muß ein Filmemacher, der es besser weiß, das in seinen Bildern immer wieder zeigen? Und muß es immer die haltlose Fixerin sein, die das todbringende Unheil über die Familie bringt? Da hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wohl kräftig am Drehbuch mitgeschrieben. Die altbewährte Moralknute zieht immer wieder gut. Nicht erst der häufig wechselnde Geschlechtsverkehr ist verwerflich, sondern schon der eine kleine Ausrutscher auf dem Pfad der Tugend kann das Verderben bringen. Aids erweist sich hier als der beste Familienkitt. Dabei wäre die Abwendung der Aids-Gefahr viel einfacher gewesen. Hätte der untreue Ehemann bei seinem amourösen Abenteuer ein Gummi benutzt, hätte er jetzt nicht die Sorgen. Zum Welt-Aids-Tag am 1.Dezember - dann wird der Film im Vormittagsprogramm wiederholt - kauft man sich besser eine Großpackung London gefühlsecht.

utho