Lehrreiche Leichenfledderei

■ „Die Staatskanzlei“, ein Fernsehspiel über den Fall Barschel, 20.15 Uhr, ARD

Früher nannte man es Interview. Da war Politik im Fernsehen noch packend, manchmal sogar richtiggehend informativ. Heute ziehen die Journalisten einen Schalldämpfer übers Mikro und dackeln brav als O-Ton-Sammler zu Kohls Kaffeekränzchen.

Vor zwei Jahren hatten Kollegen in Kiel wieder einmal den üblichen Fragenkatalog zur Landtagswahl abhaken wollen, als ihnen der 'Spiegel‘ das Routineritual durchkreuzte. Barschel stand plötzlich allein. Um ihn herum Journalisten, die nun wieder lernten, kritische Fragen zu stellen. Zuerst linkisch wie Volontäre, die leise die sieben W's vor sich hinsagen, damit sie sie nicht vergessen, dann immer fordernder und mit einer Vehemenz, die auf mehr Respektlosigkeit gegenüber der Politprominenz hoffen ließ. Vielleicht wäre daraus eine neue Kultur des politischen Interviews entstanden. Aber mit Barschels Tod war der Sündenbock des Waterkantgates gerichtet, und die Neugier für eine Interviewtechnik, die auf Antworten beharrt und sich nicht mit Pausenzeichen zufriedengibt, schien erloschen.

Wahrscheinlich tue ich Heinrich Breloer Unrecht, der jetzt mnit dem Fernsehspiel Staatskanzlei noch einmal den Skandal um den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten aufrollt. Denn er ist Fernsehspielregisseur und kein Journalist. Aber auch er fragt nicht mehr als unbedingt erforderlich, um den Eindruck eines kritischen Chronisten aufrechtzuerhalten. Er fragt nicht nach der Rolle Gerhard Stoltenbergs, der bis heute ungeschoren geblieben ist. Er fragt nicht danach, worin der Fall Parallelen mit anderen politischen Affären haben könnte. Indem er nicht fragt, gibt er sich die Antworten selbst: Seht her, Barschel ist entlarvt. Jetzt haben wir einen machtgeilen Politiker dabei erwischt, wie er seine Untergebenen - vom Fahrer bis zur Sekretärin - zum Meineid zwingt, um seine Machenschaften zu vertuschen. Es fehlt nicht viel, und Barschel bliebe der einsame Wolf, der sich an einem Rudel frommer Lämmer vergangen hat.

Breloers Barschel ist der Bösewicht, seine heimlichen Helden sind die Angstellten. Die Sekretärin Jutta Schröder, die Reiner Pfeiffer dazu bewegt, „auszupacken“, und die beiden Fahrer, von denen einer dem „vom Thron gestoßenen“ Ministerpräsidenten nachweint, erhalten ein derartiges Gewicht, daß die politische Dimension dahinter zu verschwinden droht. Mag sein, daß Heinrich Breloer diese menschelnde Komponente als Zugeständnis an den Hauptsendeplatz um 20.15 Uhr einbauen mußte, doch die gute Seele von Sekretärin, die so penetrant die gewissensgeplagte, ehrliche Haut verkörpert, ist des Guten zu viel. Breloer verabreicht Beruhigungspillen. Was ist noch Skandal an dem Skandal, wenn alle so artig wie Jutta Schröder waren?

Daß Breloers Staatskanzlei trotzdem Sinn macht, liegt an der gelungenen Verquickung von dokumentarischem Material und freien Spielszenen. Erst dadurch läßt sich die Arbeit des - nicht öffentlichen - Untersuchungsausschusses in Kiel darstellen. Der Blick hinter die Kulissen wird plötzlich auch da möglich, wo sonst Schweigen, Drehverbot oder Kalkül eine Berichterstattung verhindern. Die Gefahr, daß sich Wirklichkeit und Fiktion verwischen, besteht nur dann, wenn die Spurensicherung zur Spekulation gerät. Stützt sie sich auf Fakten - wie Breloers Recherche-, könnte das Spielelement durchaus auch für den aktuellen Journalismus interessant werden. Auf der Suche nach der Wahrheit sind Sprechblasenspender in Amt und Würden nicht unbedingt entscheidend. Viel wichtiger sind die Zusammenhänge. Und die lassen sich anders zeigen. Breloer hat es bewiesen.

Christof Boy