„...UND WENN ICH JEDEN TAG EINEN LITER BENZIN SAUFE...“

■ Von den kleinen und großen Gemeinheiten im Knast

Es ist nicht mehr auszuhalten, nicht etwa der Knast mit seinen immer noch 22 Stunden täglichem Einschluß in Moabit da gibt's Schlimmeres: Mandela hat 27 Jahre auf dummen Sprüchen der Mächtigen gesessen - nein, nicht mehr zum Aushalten ist die staatsoffizielle Verscheißerung der Leute hier: Nach wie vor wird Riegelvollzug betrieben, die zweimal Umschluß auf dem B-FLügel pro Woche, sind die reine Kosmetik, krank sollte man besser tatsächlich nicht werden, sonst hilft nur noch beten (sollte man sowieso können, hier)... Und ansonsten bewegt sich auch nichts, zum Beispiel Tegel mit der Pumpenausgabe für die Junkies, die Rechtslage (O-Ton Limbach) erlaubt das nicht, scheißegal, wieviele sich noch mit HIV infizieren, Hauptsache das Prinzip wird gewahrt.

Anfangs haben wir hier ja alle vermutet, diese halboffizielle, aber nicht zu übersehende Obstruktion der AmtsträgerInnen könnte so peu a peu zurückgedrängt werden, weil ja jetzt Leute mit anderen Intentionen Dienstherr sind. Aber weit gefehlt, ein jeder aus der SenatorInnentrachtengruppe fühlt sich als Herr/Frau der Lage. Heute haben sie wieder einen aus dem Pendel gehoben, dem das Geringste, die Hilfe im Falle der Krankheit vorsätzlich verweigert wurde, weil, war ja bloß so'n Scheißfixer, ist eh besser, die verrecken, je schneller, je besser und billiger. Na, nu isser verreckt, der Hartmut. Vielleicht sind die jetzt happy und können besser schlafen. Ich kenn‘ allerdings Leute, die sich zähneknirschend nichts mehr wünschen, als daß die Scheißblagen (was können Kinder für ihre Eltern? d.sin u. Korr.) der hier verantwortlichen Täter auch mal auf der Nadel landen, damit die sehen, wie das ist. Was dazu zu tun wäre, wird getan werden, ganz sicher.

Dazu kommt, daß nicht bloß mit frommen Sprüchen seitens des Senats und der regierenden Parteien die Leute vorgeführt werden. Ich meine speziell die AL hat ja die dollsten Töne rausgehauen, Knäste aufmachen und so;, nein, kleine Dinge, die nichts kosten würden und auch kaum nennenswerten Aufwand erfordern, sind nicht mal diskutiert worden: Nehmen wir etwa den Einkauf, der in seiner Höhe seit mehr als zehn Jahren nicht verändert wurde, obwohl alles teurer geworden ist. Beim Besuch darf seit zehn oder zwölf Jahren hier für 36 Mark pro Monat Ware gezogen werden. Was zum Teufel würde es für einen Aufwand bedeuten, diesen Betrag nun endlich an die Realitäten anzupassen? Ein ganz verdammtes Wort nur, aber Scheiße, mit oder ohne AL. Mit etwas mehr Verwaltungsaufwand könnte der monatliche Einkauf für Strafer angehoben werden, er beträgt zur Zeit etwas über 40 Mark pro Monat. Wer, zum Teufel, kommt damit aus, speziell bei dem Hundefutter - was sag‘ ich Hundefutter, wenn der Mittwochseintopf als Hundefutter bezeichnet würde, wären alle TierschützerInnen auf den Barrikaden -; aber sowas ist nicht mal Thema. Natürlich ist auch das Geld, das man hier euphemistisch als „Arbeitsbelohnung“ bezeichnet, für die hier verrichtete offizielle Zwangsarbeit ein Dreck! Bei besten Bedingungen, höchster Lohngruppe und Prämie sind es keine 200 Mark, die der arbeitende Gefangene bezieht. Die einzig wirkliche Lehre, die daraus zu ziehen ist, daß Arbeit nun ganz sicher das allerletzte ist, was man auch bei optimistischster Betriebsblindheit als lohnenswert bezeichnen kann. Ganz abgesehen davon ist Zwangsarbeit international geächtet, aber hier ist man gesetzlich dazu verpflichtet. Im Falle der Pflichtverletzung werden auch noch die 40 Mark monatlich Eigengeldeinkauf gesperrt.

Abends um neun kommt so ein Amtsfisch durch und schaut in die Zellen, um seine Kenntnisse über die Variationsbreite der Masturbationstechniken zu erweitern, mittels Türspion. Manche mögen das nicht und drehen das Licht ab, vielleicht auch bloß, um zu schlafen. Und dann kommt der Amtsarsch und haut volles Rohr an die Tür mit den Worten: „Licht an, Mensch! Licht an, hab‘ ich gesagt!“ Könnte im Zuge der Menschlichkeit auch längst abgeschafft sein, würde sogar Kapazitäten freimachen, aber mit dem Argument, Suizidversuche verhindern zu wollen, was - siehe Hartmut heute morgen - sowieso nicht klappt, macht man weiter: War ja schon immer so. Es dient nur und wirklich dazu, die Leute zu ärgern und ihnen das Bewußtsein der Überwachung zu erhalten.

Es ist alles bis ins Kleinste darauf ausgerichtet, den Leuten hier den größtmöglichen Haß auf die Gesellschaft einzupflanzen und diese Pflanze zu züchten und zu hegen. Leute werden nach Jahren mit ein paar Mark entlassen und selbst, wenn sie wollten, es findet sich keine Arbeit. Hat man Btm-Stempel, dann gibt's nicht mal kurz vor der Entlassung Ausgänge - gar nicht zu reden von Urlaub, damit man wenigstens versuchen kann, Arbeit zu finden. Ist mir so passiert. 1984, bei der letzten Entlassung nach drei Jahren Knast. Aber Hauptsache, die Amtsärsche sind versorgt. Solange die Situation so ist, wie sie ist, brauchen sich weder Bullen noch Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte, Justizbedienstete und Senatsverwalter je Sorgen um den Nachweis der Rechtfertigung ihrer Existenzberechtigung machen. Aber ich schwör's, wenn ich jemals wieder darauf angewiesen sein sollte, meinen Lebensunterhalt auf die grobe Methode zu bestreiten, dann wird das Ziel ein Staatsbesoldeter sein.

Ach ja, weil ich vorher gerade vom Futter geredet habe, über das ich mich mit Rücksicht auf meine Galle nicht näher auslassen will, eine ganz kleine, pitoreske Anmerkung dazu: Kürzlich war doch die Limbach hier in Mauerbit an einem Montag, einem resteverwertenden (wie umweltbewußt, ja, ja) Eintopftag der gefürchteten Sorte, und es stand Kohlrabieintopf auf dem Speiseplan. Mann stellt sich also auf die übliche kontemplative Fastenphase ein, und da kommt Juttale und bringt 'ne Paprikaschote oder sowas mit und Kartoffeln und Soße, alles ganz sonntagsmäßig, ostersonntagsmäßig sogar oder von der Qualität sogar fast wie Weihnachten. Also, ich finde, sie sollte öfter mal kommen, unsere Jutta mit den großen Stauneaugen...

Aber jetzt mal ganz grundsätzlich: Im Knast sitzen in der überwiegenden Mehrheit Leute im Zusammenhang mit Btm, in jedem Zusammenhang, und wir werden so lange nichts an den gesamtgesellschaftlichen Mißständen ändern, wie dieses Problem nicht gelöst wird. Mal ganz davon abgesehen, daß es

-auch wissenschaftlich - abgesichert ist, daß sich eine Genußmittelprohibition nicht durchsetzen läßt. Allgemein habe beispielsweise ich nicht die allergeringste Spur einer Absicht, mir je von irgend jemand sagen zu lassen, was ich in meine Figur einfüllen darf und was nicht. Es ist nämlich mein ganz verdammter Körper allein, über den ich ganz allein bestimme, und wenn ich es für richtig halte, jeden Tag einen Liter Benzin zu saufen, kann das allen anderen Leuten auch egal sein. Über meinen Körper bestimme ich, und je mehr andere das anzweifeln, je mehr werde ich mich mit immer heftigeren Mitteln dagegen wehren. Seit nunmehr 25 Jahren rauche ich Haschisch, 15 Jahre hab‘ ich eingefädelt, und das einzige, was mir je geschadet hat, war die Repression. Die Drogen hab‘ ich phantastisch überstanden. Ich hatte mit Drogen gar keine Probleme, nur ohne. Mein Geist ist von ausreichender Leistungsfähigkeit: Ich spreche fließend Englisch und Arabisch und kann in Spanisch und Französisch das Nötige, Schach geht auch nicht schlecht, und mein Körper gestattet mir immer noch 50 Liegestützen langsam und auf der Faust. Wenn irgendeiner der fetten Amtsärsche, die sich hier die Herrschaft anmaßen und der in meinem Alter ist, Besseres leistet, bin ich bereit, das Thema noch mal zu überdenken. Aber es ist durchaus so, daß diese Typen außer in den Urlaub auch noch zweimal pro Jahr zur Kur fahren, weil sie ihre Präkadaver vom Dienst in der Unterdrückung erholen müssen.

Wenn auch im allerverborgensten nur die zarteste Spur einer Einsichtsmöglichkeit in die Art zu finden wäre, wie dieses System hier gefahren wird, wäre ich nicht der Letzte, der sich gegen so was sperrt. Aber in bezug auf die Drogen ist die Fehlkalkulation so grob offensichtlich, daß es einer Gehirnamputation bedarf, anders zu denken. B.G.Thann hat das alles im einzelnen auseinanderklamüsert, ohne daß er allerdings die rechte Traute hatte, die notwendigen Konsequenzen zu fordern. Die Konsequenz aus der Situation, daß es sich bei den Drogen um den am meisten boomenden Markt weltweit handelt, mit einem Volumen von vom 'Spiegel‘ sicherlich noch unterschätzten 500 Milliarden Dollar, kann doch nur sein in einer auch nur rudimentär zivilisierten Gesellschaft, diesen Markt zu ordnen, zu besteuern und die unzivilisierten, kriminellen Aspekte auszugrenzen. Auch das Argument, daß die für die Fortentwicklung einer Gesellschaft benötigte soziale Frustration durch den Drogengebrauch aufgehoben würde, kann doch angesichts der finanziellen und menschlichen Kosten nicht akzeptiert werden, ganz abgesehen davon, daß dies ein Argument aus der Kiste des Unmenschen ist, vergleichbar etwa mit dem dummen Spruch, den DrogenbenutzerInnen müßte der „Leidensdruck“ erhöht werden, damit sie aufhören. Das Gegenteil trifft zu in bezug auf die soziale Frustration: ein weiter erhöhtes Bedürfnis, diese abzudämpfen, mit dem Preis, daß das Abdämpfen genau die Energien kostet, die eigentlich einer gesellschaftlichen Entwicklung zuständen und in bezug auf Leidensdruck das Entsprechende, mit dem Preis einer erhöhten Zerstörungskraft der Repression. Ein Scherbenhaufen. Und wie heftig die Repression auch immer gestaltet wird - in Saudi Arabien kostet es den Kopf mit einer gewissen Menge Dope erwischt zu werden, und trotzdem sind die westlichen Berge von Jordanien bis zum Jemen voll mit Haschisch und Opium; in der Türkei und Ägypten gibt's 25 Jahre Knast auf eine Tüte, und im alten Preußen hat man TabakraucherInnen gestäupt und gehenkt, auch von Vierteilungen und Radflechtungen berichtet die Geschichte -, selbst hier in dem ach so sicheren Mordbit gibt's trotz allem Drogen.

Ich sehe ja ein'daß es unangenehm ist, das Scheitern einzugestehen, aber man kann Honecker nicht Altersstarrsinn und Betonmentalität vorwerfen und hier nur etwas subtiler das gleiche tun. Auch wir, die wir wegen der Illegalität keine Lobby bilden können, wir DrogenbenutzerInnen sind es leid, von Leuten gegängelt und bevormundet zu werden, die von nichts auch nur die geringste Ahnung haben. Es ist ja nicht so, daß der Joint jetzt Pflicht werden soll, aber wenn ich mir einen reinziehe, will und werde ich das ungestört und ohne Angst tun. Ein Gesetz, das sich nicht durchsetzen läßt, untergräbt die Wirkung aller Gesetze und das Drogengesetz schädigt unser aller Geldbeutel. Wenn das besteuert würde, was hier illegal umgesetzt wird, wären in diesem Lande die finanziellen Probleme in der Tat ganz deutlich geringer, und das Lebensgefühl deutlich freier, was, wie ich mal gehört habe, der Kreativität ganz allgemein dienlich sei.

Außerdem wären die Knäste so gut wie leer. Aber das ist natürlich die glatte Horrorvorstellung für die Amtsärsche. Unter diesen Umständen droht ja tatsächliche Arbeit, meßbare, überprüfbare, ganz schrecklich. Plötzlich müßte man sich mit der Vorstellung befreunden, ehrliche Arbeit zu leisten, vielleicht sogar, was der Allmächtige verhüten möge, Machtverlust - unausdenklich!

Nur, die Alternativen, extrapoliert, kann man an so Städten wie LA und NY oder Miami sehen, das ist Bürgerkrieg, und es ist erst der Anfang. Jetzt haben sie außerdem noch einen Koksersatz gefunden, der sich in jeder Küche in Mitteleuropa herstellen läßt. Ice, ein Pervitinabkömmling (? d.sin), der an Entzugspower alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Die Leute werden zu tobenden Massenmördern, wenn man sie entzieht. Und das dürfte, wenn man an so technische Entwicklungen wie Tentanyl denkt, noch lange nicht das Ende sein. Ich habe keine Hemmung, da apokalyptische Zustände zu prophezeien, und ein Effekt ist damit in jedem Fall verbunden: Der durch die Legalisierung befürchtete Machtverlust. Wenn wir die Silvesterknallerei der Jahrtausendwende nicht aus Maschinengewehren haben wollen, wird es höchste Zeit, ganz schnell und ganz hart das Ruder rumzureißen und zu beten, daß es vielleicht gerade noch mal gut geht.

Eins ist jedenfalls mal klar angesichts der Entwicklung: Es wird der Tag sehr bald kommen, wo man den Zeiten von Haschisch und Opium mit seinen Kindern sehnsüchtig nachweint.

Heute haben sie Hartmut vom Seil geschnitten, ein Opfer der Repression. Wie viele braucht es noch, bis den Typen mal der Frost aus der Birne taut? Ich hoffe, ich habe nicht umsonst geschrieben.

U.K., Berlin-Moabit